Satire, Alltägliches und andere Absurditäten

 

Tagebuch aus dem Exil

Vielleicht sollte ich ein paar einleitende Worte zur Niederschrift dessen, was hier erlebe und was mich bewegt und zu den Aufzeichnungen meines Tagesgeschehens sagen:

1.
Tagesgeschehen enthält den Begriff Geschehen. Das kann zu Missverständnissen führen. Tatsächlich geschieht hier nicht viel. Ich lebe hier ziemlich zurückgezogen in einem kleinen Fischerdorf. Hier werden im Winter um sechs Uhr abends die Gehwege hochgeklappt. Einzig ein paar Fischer fahren dann noch aufs Meer. Ganz wichtig, sie fahren aufs Meer. Ich betone das bewusst, denn nach dem ich verschiedenen Freunden und Bekannten erzählt hatte, dass ich die ersten drei Monate des Jahres 2011 in einem Fischerdorf an der Algarve verbringen würde, wurde ich mehrmals gefragt, ob es denn am Meer liegt. Also noch mal für alle: Erfolgreiche Fischer fischen ihre Fische nicht auf Fischäckern, auch nicht von Fischbäumen und eben so wenig in der Iglo-Fabrik. Sie fischen diese im Meer. In diesem speziellen Fall im Atlantischen Ozean. Nix für ungut. Ich höre auch nicht immer genau hin, was mir erzählt wird. Kann man gelegentlich an meinen Texten ablesen.

2.
Da ich ein vergesslicher Mensch bin und die Vergesslichkeit sich noch vergrößert, wenn ich von nichts und niemandem gefordert werde, habe ich dieses Tagebuch begonnen. So kann ich jederzeit nachlesen, was ich wann hier in Portugal getrieben habe, was mich wann bewegt hat und vor allem, welche Erledigungen, die ich selbst im Exil hier und da tätigen muss, ich schon abhaken kann. Denn:

3.
Ich liebe Effizienz. Ich mache selten etwas mehrfach, das ich einfach erledigen kann. So ist das Tagebuch zusätzlich ein wirksames Werkzeug, um in einem Aufwasch all den Menschen Antworten auf Fragen zu meiner Befindlichkeit zu geben, die das ansonsten per Brief, Postkarte, Email, SMS, Facebook oder Rauchzeichen erwarten.

4.
Warum bin ich in einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche und in dem man die Uhr eine Stunde und dreißig Jahre zurückstellen muss? Ich weiße es jetzt nach einem Monat selbst nicht mehr genau. Begriffe wie Selbstfindung, Muse zum Schreiben, Erholung fallen mir spontan ein. Ich versuche das im Folgenden detaillierter zu rekonstruieren:

Da ich viele Phasen in meinem bisherigen Leben zumindest aus jetziger Sicht mit maßlosem und blindem Aktionismus verbracht habe, sozusagen mit einer total verdreckten Scheibe auf der Überholspur, war es überfällig, mich endlich mal auf den Pannenstreifen zu begeben und die Scheibe zu schrubben. Da Pannenstreifen zu sehr nach Panne klingt, nenn ich diesen hier Exil. Das gibt dem Ganzen den Anschein von großer Wichtigkeit meiner Person und befriedigt deshalb meine Eitelkeit so, wie ich es gerne habe. Die Wichtigkeit meines Exils ist ohne Zweifel gegeben. Denn hätte ich diesen Schritt nicht gewagt, hätte ich mich in meiner Burne-Out-Verzweiflung irgendeiner Glaubensrichtung hingeben müssen. Im schlimmsten Fall wäre ich zu einem fundamentalistischen Katholiken mutiert, der nichts besseres mit sich anzufangen weiß, als Camps von Islamischen Fundamentalisten zu bereisen und die Leute dort zu Kooperationen zu bewegen. Zum Beispiel in der Art, wenn schon Anschläge mit Sprengstoffgürteln, dann doch bitte gezielt auf größere Ansammlungen von Kondomträgern. Also um beiden Ideologien gerecht zu werden: auf westliche Promipuffs.

In diesem Sinne, viel Spaß beim Lesen

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Dienstag, 01.02.2011, Salema, Portugal

Es ist jetzt 10.30 Uhr Portugiesischer Zeit. Hatte mich zwei mal erfolgreich im Bett umgedreht um weiter zu schlafen. Dabei fängt der Tag mit strahlendem Sonnenschein von einem wolkenfreien Himmel an. Und genau das störte mich beim ersten und zweiten mal Aufwachen. Diese elende Sonne will mich aus dem Haus treiben. Sie will mich zu Aktivitäten zwingen, die ich nicht auf der Tagesordnung haben will. Spazieren, bummeln, wandern, Ausflüge, ... alles draußen, und aufgewertet durch Sonnenschein. Die scheint nicht alle Tage. Das muss man nutzen. Verfluchte Sonne. Sie will, dass meine Tastatur, die im ersten Monat meines Exils noch nahezu ohne Anschläge auskommen musste, völlig vereinsamt. Nicht genug, sie will mich von meiner geplanten Selbstfindung abhalten. Kaltes stürmisches Regenwetter wäre mein Favorit gewesen. Da hat man schier endlos viele Argumente dafür, dass man den ganzen Tag zu Hause verbringen kann. Nun quält mich diese gnadenlose Sonne. Bin ich ein Sonnenjunkie? Bin ich süchtig nach einer regelmäßigen intradermatösen Injektion von UV-Licht? Ich habe gelesen, dass jeder Mensch eine gewisse Dosis dieser Strahlen braucht. Mehr noch, dass sogar der sichtbare Teil des Lichts, durch die Augen aufgesogen, notwendig fürs seelische Gleichgewicht sein soll. Ich habe beobachtet, dass die ersten Sonnenstrahlen nach einem kalten trüben Winter die Menschen massenhaft aus ihren Löchern locken. Überall strahlende, lächelnde Gesichter, die eine unbeschreibliche Leichtigkeit ausstrahlen. Muss was dran sein an der Theorie. Ist hier nach ein paar trüben Tagen ebenso. Aber was soll ich nun bitteschön mit strahlenden, lächelnden Gesichtern? Mich untermischen und mit den Leuten amüsieren? Jeder Guru predigt, dass man seine Selbstfindung alleine durchziehen muss, natürlich mit ihm. Und wenn nicht, dann wenigstens in einer seiner Selbstfindungs-Gruppen. Ich hatte mich für alleine entschieden, denn ich hatte mal grade eben keinen Guru greifbar, der mit mir nach Portugal hätte reisen können. Nun muss ich wahrhaftig dagegen ankämpfen, dem Rudel hinterher, wie ein Lemming aus dem Haus zu rennen. Die Natur scheint jedem von uns den Sonne-haben-wollen-Instinkt tief eingepflanzt zu haben. Fest programmiert in den Gen-Code. Übelste Malware. Ein von der Natur eingeschleuster hartnäckiger Virus. Für den Computer gibt es Virenschutz-Software die solche Programme aufspürt und vernichtet. Aber was ist mit uns? Ist es denn bei unserem derzeitigen wissenschaftlichen Fortschritt nicht möglich jedem ein individuelles Anti-Viren-Programm zu schreiben und aufzuspielen? Dann könnte man bei uns Männern ebenfalls diesen nervigen Virus entfernen, der uns unermüdlich folgende Fragen aufdrängt: Ist mein Penis groß genug? Wenn nicht, ist mein Auto groß genug? Wie kann ich den Staub dauerhaft vom Armaturenbrett entfernen?

Zwei mal umdrehen und somit zwei Stunden des Tages hat mich dieses Wahnsinns Wetter gekostet. Dann erst kam mir die Idee, wie ich heute den Kampf gegen meine Gene gewinnen kann. Mit einer besonders wirksamen Waffe. Mit meiner Phantasie. Ich ignoriere das tatsächliche Wetter einfach. Um es mir leichter zu machen, ziehe ich die Vorhänge zu. Während dieses penetrante Leuchten da draußen statt findet stelle ich mir vor, dass der Tag wieder einer dieser Portugiesischen, Melancholie erzeugenden stürmischen Wintertage ist. Dass der Wind so heftig peitscht, dass er den Regen waagrecht in jede noch so kleine Ritze befördert. Dass jeder, der sich nach draußen begeben musste, grimmig und unansprechbar ist. Dass die Leute, die ich besuchen könnte, auf Grund dieses grausamen Wetters zutiefst deprimiert dahinsiechen und zu niemandem Kontakt haben wollen, schon gar nicht zu mir. Ich stelle mir vor, ich werde nichts aber auch gar nichts verpassen. Ich kann mich wieder ohne nennenswerte äußere Beeinflussung meinen Gedanken hingeben und diese niederschreiben oder mir eine effiziente Vorgehensweise überlegen, wie ich in meinem Appartement mich selbst finde, oder meine Lesebrille. Oder den Sinn des Lebens. Ja, das ist auch so ein Grund, warum ich hier bin. Den Sinn des Lebens ergründen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt mich schon ziemlich lange. Doch die Frage kann ich mir selbst aus mir gänzlich unbekannten Gründen, die ich ebenfalls noch ergründen sollte, nicht effizient beantworten. Zu meinem großen Glück fallen mir hin und wieder Möglichkeiten ein, wie ich diese Frage auslagern kann. Zum Beispiel mit dem Sinnomaten.

Ich stelle mir das so vor: Ein Automat mit reichlich Speicherplatz, der prall gefüllt ist mit Antworten auf fast alle Sinnfragen. Der Automat ist mit einem Kreditkartenschlitz und Tastatur versehen. Kreditkarte rein, Frage eintippen und eingeben wie teuer die Antwort werden soll. Die ganz billigen Antworten sind die, die von Chinesischen Kindern stammen und mit Babelfish übersetzt werden. Nützen einem praktisch gar nichts, dafür sind die Kleinen von der Straße weg. Besonderes Schmankerl: Wenn man die Hartz IV Taste drückt, sind die Antworten umsonst. Allerdings dann nur aus einer Auswahl von fünf Stück, die nach dem Zufallsverfahren ausgegeben werden. Im mittleren Preissegment bekommt man Antworten, die von indischen Gurus in Ausbildung gegeben werden. Sind zwar auch billig im Einkauf, aber die werden solide von sprachgewandten Esoterikern übersetzt. Nützen zwar auch nichts, geben einem aber das Gefühl, dass sie das täten, wenigstens eine Zeit lang. Im höheren Preissegment erhält man Antworten von studierten Philosophen, die vor ihrer Aufgabe, die Festplatten mit Antworten zu füllen, als Lagerarbeiter ihren Lebensunterhalt bestritten. Da die Antworten nie wirklich positiv ausfallen, klingen sie besonders ehrlich. Die geben einem das Gefühl, dass man ordentlich was für sein Geld bekommen hat. Und man arbeitet gerne weiter, um das nötige Kapital für weitere Antworten zu erwirtschaften. Die teuersten Antworten sind die, die von Politikern gegeben werden. Die können nämlich grundsätzlich nahezu alles bedeuten. Die sind dafür gedacht, vom Kunden/von der Kundin an solche Personen weitergegeben zu werden, denen man eine Antwort schuldig ist. Passen einfach immer. Und deshalb bestätigt sich wieder mal die Weisheit, nur was teuer ist kann auch wirklich gut sein. Vorsicht bei der Bedienung des Automaten! Er ist mit einem ausgefeilten Schutzmechanismus ausgestattet: Stellt man eine Frage, die er nicht im Katalog hat, schützt er sich selbst vor einem Systemabsturz. Es öffnet sich sofort eine gigantische Falltüre und man wird schnurstracks in die Kanalisation befördert. Es lohnt sich also, vor der Bedienung des Automaten schwimmen zu lernen und/oder eine Schwimmweste anzuziehen.

Dieser selbst ernannte Schlechtwetter-Tag gefällt mir immer besser. Zum Beispiel die Tatsache, dass ich ausgiebig meinen Träumen nachhängen kann. Ich hatte letzte Nacht einen äußerst merkwürdigen Traum. Ich saß an einem Tag mit Sonne-Wolken-Mix auf dem Beifahrersitz eines Volvo Kombi. Kachelmann saß am Steuer und lenkte uns durch eine Landschaft mit grün geteerten Straßen und blauen Wiesen, durchsetzt von knallbunten Bäumen. Trotz der beängstigend absurden Farben hatten wir eine ausgelassene fröhliche Unterhaltung über seine weiteren Pläne. Er hatte mit Gott einen Deal ausgehandelt. Der beinhaltete, dass, nach dem Petrus als Strafe für den nicht verhinderten Klimawandel zur Hölle geschickt würde, Kachelmann zukünftig nicht mehr nur das Wetter voraussagen sondern ab sofort selbst gestalten würde. Gott würde ihm dafür, sozusagen als Lohn für seine Arbeit, noch weitere Vergewaltigungen erlauben. Kachelmann versicherte mir, dass ihn der letzte Teil des Vertrages überhaupt nicht interessierte, da die angebliche Vergewaltigung nur ein Rachefeldzug des angeblichen Opfers war. Doch Gott bestand auf der Klausel. Mit der Begründung, dass die Menschen schon ein bisschen höllische Aktivitäten bräuchten um an den Himmel und damit an ihn glauben zu können. Also ließ Kachelmann Gott in dem Glauben, diesen Lohn anzunehmen. Auch ein Gott muss ab und zu an etwas glauben, sonst ist seine Glaubwürdigkeit schnell beim Teufel. Kachelmann und ich hatten sogleich wunderbare Ideen wie zukünftig Wolken auszusehen hätten. Schluss mit Cirrus, Stratus, Cumulus oder langweiligen Kondensationsstreifen von Flugzeugen. Regenwolken sollten die Form von Gieskannen und Gartenschläuchen mit Gardena Sprühköpfen haben. Gewitterwolken sollten die Form des Teufels haben, der Blitze aus dem Mund schießt. Frau Holle sollte Pate für Schneewolken stehen. Und dann sollte es reichlich verschiedene Wolken geben, die einfach den Himmel verzieren. Einige davon sollten in Form von Karikaturen aktuelle Ereignisse auf die Schippe nehmen. Andere sollten alle Stellungen des Kamasutra an den Himmel malen. Und über diesen müsste die lächelnde Monalisa im Latex-Domina-Kostüm stehen. Am Horizont sollten Wolken ständig komplette klassische Meisterwerke der Literatur in Laufschrift schreiben. Finanzämter, Führungsetagen von Bank- und Versicherungs-Gebäuden und sämtliche Aufenthaltsorte privater Investoren sollten ohne Unterbrechung in finstere Wolken gehüllt sein, die außer Wasserdampf auch Gase aus schwefelhaltigen Verbindungen enthalten. Einen zum Betätigungsfeld passenden Geruch verströmend. Wir amüsierten uns über würfelförmige Regentropfen, Hagelkörner in Form von Büsten von berühmten Persönlichkeiten und Windhosen die die Form von Blue Jeans haben. Kachelmann fand meine Idee, in Großbritannien gelegentlich Katzen und Hunde vom Himmel fallen zu lassen einfach bezaubernd und verkündete, in Deutschland den Begriff Scheißwetter von Zeit zu Zeit wörtlich zu nehmen. Er ersparte mir allerdings eine detaillierte Beschreibung seines Vorhabens.

Es war noch eine dritte, weibliche Person auf dem Rücksitz des Volvo Kombi, die unsere ausgelassene Stimmung in keiner Weise beeinträchtigte. Somit kann es unmöglich das angebliche Vergewaltigungsopfer gewesen sein. Wer war es dann? Und warum bin ich aufgewacht, wo doch diese Frage noch nicht geklärt war? Möglich, dass dieser Traum in der nächsten Nacht fortgesetzt wird. Ich öffne jetzt jedenfalls die Vorhänge und werde meine genetische Bestimmung siegen lassen. In die Sonne gehen, flanieren, Kaffee trinken, Gespräche mit anderen Menschen führen. Ich kann nicht anders. Meinen Phantasie reicht doch nicht zum Bleiben. Schreiben kann ich ja morgen wieder oder übermorgen ...

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Mittwoch, 02.02.2011, Salema, Portugal

Die Sonne scheint, es ist jetzt acht Uhr morgens, habe schon Kaffe getrunken und sitze am Computer. Ohne den Drang, raus zu müssen. Klappt ja prima. Dazu muss ich was erklären: Meine Gene waren doch mächtiger als ich gedacht hatte. Ich hab die Sonne gestern als so wohltuend empfunden, dass ich mich erst nach Sonnenuntergang zurück in meine Vier Wände begeben konnte. Absolut kontraproduktiv für mein Ziel mich selbst zu finden. Portugal ist zwar nur ein schmaler Streifen Land am Atlantik, hat aber dennoch über zehn Millionen Einwohner. Und bei der mangelnden Gründlichkeit, wie hier Dinge verrichtet werden, tippe ich auf ungenaue Zählweise. Und es sind möglicherweise zwanzig Millionen. Zwanzig Millionen mal die Gefahr, meine Selbstfindung zu vereiteln und mich an jemanden zu verlieren. Ich habe zwar schon seit ich denken kann die Devise "no risc no fun", doch dieses Risiko war mir eindeutig zu hoch. Zurück in meiner Behausung, wo ich mich sicher fühlte und entspannt nachdenken konnte, hatte ich sofort eine Idee, wie ich mein Problem lösen könnte. Ich habe begonnen, mich selbst gegen das Solar-Problem zu behandeln. Da ich so meine Vorurteile gegen die von Pharmafirmen zu sehr diktierte Medizin habe, habe ich mich entschieden, mich homöopathisch zu behandeln. Mir ist eingefallen, dass Homöopathen mit kleinen Dosen Wunder bewirken können. Behaupten die selbst zumindest, und Freunde von mir schwören darauf. Ich hatte da so meine Zweifel, bei meinen Freunden kursieren häufig Krankheiten, die ich nur vom Hörensagen kenne. Zudem, wie soll eine Konzentration D30 irgendwas bewirken können? Das entspricht einer Verdünnung von einem Tropfen Wirkstoff auf eine Flüssigkeitsmenge die etwa fünfzig mal das Volumen der Erde füllen würde. Fraglich auch, wie derjenige, der die Mischung erzeugt, das abfüllt. Der darf jedenfalls nicht zittern. Eine Behandlung mit D30 klingt für mich zudem wie der Versuch eines einzelnen Menschen, die Sonne mit ein bisschen Pusten aus dem Zentrum des Sonnensystems zu schieben. Da ich ein positiv denkender Mensch bin, habe ich das für eine Behandlung mal in Lichteinheiten umgerechnet, und dabei kam Folgendes raus: Wenn ich die Nacht abwarte und die Vorhänge zu ziehe, um auch das Licht der Sterne auszusperren, muss ich mich genau zwei Sekunden mit meiner LED-Stirnlampe indirekt über den 50 x 70 cm großen Spiegel im Badezimmer anleuchten. Ich hab das letzte Nacht sofort ausprobiert. Das werde ich nun jede Nacht wiederholen, außer am nächsten Tag sind dicke Wolken angekündigt. Meine langjährig bewährte Devise "Viel hilft viel" muss ich wohl neu überdenken, denn, wie schon gesagt, es funktioniert.

Was leider nicht funktionierte ist, eine Fortsetzung von meinem gestrigen Traum zu träumen. Ich kann deshalb nur mutmaßen, wer die Frau auf dem Rücksitz war. Ich vermute, dass Kachelmann sich trotz Simone K. weiterhin sehr von Frauen angezogen fühlt, vor allem, wenn er sie ausgezogen fühlt. Deshalb denke ich, dass er sie als Snack für den kleinen Heißhunger zwischendurch mitgenommen hat, sozusagen als Gespielin To Go. Eben so gut könnte sie eine Mitbürgerin mit Migrationshintergrund (dieses Wort markiert mein Microsoft Textprogramm als falsch. Wohl doch zu fremd für eine amerikanische Software) sein. Eine, die auf dem Weg nach Ägypten als Tramperin bei uns zugestiegen ist. Unterwegs um in ihrem Geburtsland zu helfen, Mubaraks Abgang zu beschleunigen. So eine Gelegenheit bietet sich schließlich nicht alle Tage. Der nächste wird dem Volk wahrscheinlich so viel Demokratie vorspielen, dass dann keiner mehr aufmuckt. Wie dem auch sei, ich kann nur mutmaßen. Ich weiß nur eines, nämlich dass sie sehr attraktiv war. Und dass ihre High-Heels, die sie gegen die Rückenlehne meines Sitzes stemmte, mir Schmerzen verursachten. Nach dem Aufwachen fand ich einen realen Grund für dieses Traum-Detail: Ich lag auf meiner Lesebrille. Muss mir nun eine Neue für drei Euro kaufen, wieder Modell "Schlimmergehtnimmer". So eine mit Plastiklinsen. Die bringen leben in jeden Text. Da können Zeilen durchaus je nach Blickwinkel mehr oder weniger gewellt aussehen. Passt schon, denn Bücher liest man ja, um neue Blickwinkel zu erkunden. Wenn man dann noch lange genug an den Brillen-Bügeln rumbiegt, passt die Brille perfekt. Oder die Bügel brechen ab. Macht nix. Was sind heutzutage schon drei Euro? Und man will ja schließlich China beim Aufstieg zum ersten Platz unter den Weltmächten helfen. Die Chinesen haben das verdient. Wer schon auf Kinder verzichten muss, sollte andere Möglichkeiten bekommen, dauerhaft in Erinnerung zu bleiben. Und ausnahmsweise mal mit was Positivem. Negatives weiß man ja genug. 4. Juni 1989, äußerst unfriedliche Aktion auf dem "Platz des Himmlischen Friedens". Mit tödlichem Ausgang für viele, die zum Beispiel so grausame Dinge wollten wie Pressefreiheit. Dann noch massakrierte Tibetanische Mönche und zerstörte Klöster. Ruhm sieht anders aus. Was hier nicht mehr hinpasst, ist das Klischee, dass dort kleine Kinder arbeiten müssen. Das ist schon so alt, die müssen inzwischen alle erwachsen sein. Und Fragen für den Sinnomaten beantworten kann man nicht wirklich Arbeit nennen.

So liebe Freunde des regel- und prüfungsfreien Portugiesischen Ein-Mann-Dorfdschungel-Camps, die Homöopathie hat versagt. Oder ich hab falsch dosiert. Ich werde wieder zum Lemming. Werde heute Nacht die Dosierung erhöhen. D23 ist einen Versuch wert. Das entspricht etwa einem Tropfen eines Wirkstoffs ins Mittelmeer gekippt. Das heißt: Würde einer zu Übertreibungen neigen und sich einen ganzen Tropfen des Wirkstoffs in dieser Dosierung einverleiben wollen ... jedenfalls müsste der ziemlich durstig sein. Was heißt das für mich? Zum Glück bin ich im Rechnen schnell: Ich werde mich heute Nacht wieder zwei Sekunden lang, jedoch dieses mal von der 40 Watt Glühbirne über dem Spiegel im Badezimmer bestrahlen lassen. So was benutzen die Portugiesen tatsächlich noch. Können wohl nichts mit diesem herrlich kalten Licht von Energiesparlampen anfangen. Den Spiegel werde ich wegen unberechenbarer Spiegelungen von reflektiertem Licht mit einem Badetuch verhängen. Soll ja eine präzise Dosierung sein. Hoffe, die Birne machts mit. Die im Flur ist letzte Nacht krepiert. Zur Not muss ich das Badezimmer meiner Nachbarin benutzen. Die ist ganz lieb und hat sicher Verständnis dafür. Bis denne.

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Donnerstag, 03.02.2011, Salema, Portugal

Alles bestens. Therapie funktioniert. My home is my castle. Und ich fühle mich wohl auf meiner Burg. Mal schauen wie lange es heute anhält. Testen kann ichs ausgiebig, die Sonne scheint. Und für den Rest des Tages ist ebenfalls ungehinderte Sonneneinstrahlung angekündigt. Hab gestern die Glühbirne im Flur ersetzt und war erstaunt. Glühbirnen kosten hier in Portugal beinah so viel wie ihre sparsamen kalten Brüder und Schwestern. Da ist in der Supermarktrechnung eine recht hohe zusätzliche Steuer mit ausgewiesen, und die Mehrwertsteuer kommt noch obendrauf. Offensichtlich wollen die über den Preis Glühbirnen abschaffen. Muss ich mal nachforschen. Dabei haben die hier umweltverträglich erzeugten Strom ohne Ende. Egal wo man hinfährt, es sind immer kleinere Ansammlungen von riesigen Windrädern in Sicht. Hier sollte man auf das Glühlampenverbot verzichten. Wer so viel Wind aushalten muss, der sollte als Entschädigung das warme Licht von Glühbirnen so lange sie/er will genießen dürfen.

Hab gestern Nacht in facebook eine Seite gefunden, die Mubaraks Rücktritt fordert. Die Begründung und die Kommentare fand ich gut. Hab also "gefällt mir" angeklickt und war gleich schockiert, was da auf meiner Seite gelandet ist. Ein einzelnes Posting vom Betreiber der Seite, das die Erschießung von Mubarak fordert. Das Beste ist, diesem "gefällt mir" kann man nirgendwo in diesem Dschungel aus Postings, Nachrichten, Benachrichtigungen usw. ein "gefällt mir nicht mehr" nachsetzen. Nach dem Aufwachen heute hab ich erst mal vorsichtig aus dem Fenster geschaut. Um zu kontrollieren, ob ich schon von Angehörigen des Ägyptischen Geheimdienstes umstellt bin. War ich nicht, aber vermutlich nur deshalb, weil die im eigenen Land alle Hände voll zu tun haben. Nun werde ich immer mit der Angst leben müssen, dass die irgendwann ganz unerwartet kommen, wenn die grad mal etwas Zeit für mich haben. Ich werde so schnell nicht wieder kundtun, wenn mir etwas gefällt. Dieses facebook ist ohnehin so ein merkwürdiges Gebilde. Eine Funktion ist, dass man da Freunde sammeln kann. Ist super, hab auch schon ein paar, die ich allerdings teilweise überhaupt nicht kenne. Hab einfach angebotene Freundschaften angenommen und vorgeschlagene angefordert. Das ist so ein Punkt: Ich kenne den Begriff Freund in einem ganz anderen Zusammenhang. Als einen Menschen, mit dem man tatsächlich Kontakt hat, mit dem man sich austauschen kann und, wenns brennt, Hilfe bekommt oder gibt. Meine Vorstellung von Freundschaft ist offensichtlich völlig überholt. Zur Freundschaft bedarf es bei facebook nur ein bis zwei Klicks. Das erklärt, warum ich schon Seiten gesehen habe, in denen die Anzahl der Freunde des Nutzers im vierstelligen Bereich lag. Ist ein bisschen wie früher Briefmarken sammeln. Hat sogar eine optische Ähnlichkeit damit, denn die Freunde kann man sich als Briefmarken große Bildchen auf dem Bildschirm darstellen lassen. Einen krassen Unterschied gibts allerdings: Briefmarken sind etwas wert. Was man in facebook wahrscheinlich von den wenigsten Freundschaften behaupten kann.

Ich will hier dieses facebook aber nicht schlecht machen. Es hat auch einen praktischen Nutzen für Eltern. Da die meisten jungen Leute sich sehr extrovertiert auf facebook bewegen und alles posten, was sie bewegt und was sie tun und tun werden. Das gibt Eltern die Möglichkeit einer besseren Tagesplanung. Denn dann können sie die Zeitpunkte, zu denen sie sich vor Sorgen vergrämen und zu nichts anderem fähig sind, genauestens einplanen. Oder geplante Ereignisse der Brut, die zu Verschiebungen in ihrem Terminkalender führen könnten, gezielt verhindern. Beispiel: Die Tochter verkündet auf ihrer Seite "Bouuuao bin heut abend in der no future bar und geb mir shooters bis abwinken und lauftechnisch trouble. danach mamataxi bestellung. wer kommt mit" Hier kann man als Mutter gut eingreifen. Dazu muss sich Mutter einen Zugang zu facebook unter Pseudonym einrichten, sich die Freundschaft der Tochter erschleichen, was ja einfach ist, wenn die so sammelt wie ziemlich alle da. Dann muss Mutter nur noch die Meldung an die Pinnwand der Tochter posten "so ein sch.... future bar mittags abgebrannt war feuer wie hölle". Führt im günstigsten Fall dazu, dass Töchterchen aufs Komasaufen verzichtet. Oder sich wenigstens bei einer Freundin besäuft, bei der sie übernachten kann. Ich weiß, dieser übermäßige Gebrauch von Alkohol ist nicht bei allen Jugendlichen angesagt. Doch kann ich Eltern nur empfehlen, sich in facebook einzutragen. Manche sind vielleicht bald überrascht, wie trinkfreudig ihre Schützlinge sind. Aber bitte nie vergessen, auch Eltern waren mal jung ...

So, nun muss ich doch mal wieder raus. Ich fühl dank Homöopathie zwar keinen quälenden Drang mehr, in die Sonne zu rennen. Aber bisschen Bewegung muss sein. Will ja schließlich keinen verrotteten Körper vorfinden, wenn ich mich selbst gefunden hab. Bewegung heißt heute eine kleine Wanderung auf phantastischen Wanderpfaden über die Klippen mit herrlichen Aussichten. Die wären allerdings noch phantastischer, wenn nicht überall Tretminen rumliegen würden. Nein, ich bin hier in keinem Kriegsgebiet. Die Portugiesen sind recht friedfertig. Ich meine die Hinterlassenschaften von den zahlreichen verwilderten Hunden. Die streunen hier überall durch die Gegend, scheißen alles zu und bellen jeden an. Ich muss mir aber keine Sorgen machen, dass die mich angreifen. Die haben mehr Angst als ich. Das sind die trotz gezielter Züchtung verbliebenen Wolfsgene. Wölfe sind eigentlich ganz scheu, das wissen nur die wenigsten. Ich mach mir da eher Sorgen, dass Angehörige des Ägyptischen Geheimdienstes mich von einer Klippe stürzen und dabei filmen. Um das Filmchen danach an meine Pinnwand in facebook zu posten und anzuklicken "gefällt mir".

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Freitag, 04.02.2011, Salema, Portugal

Puuuh, jetzt muss ich erst mal einen Traum los werden, bevor ich zur Tagesordnung übergehe. Es fing damit an, dass ich träumte, ich wäre wegen merkwürdiger Geräusche an meiner Wohnungstüre aufgewacht. Was mich dazu veranlasste, mal nachzusehen, was da vor sich ging. Nachdem ich die Türe geöffnet hatte sah ich eine aus purem Gold bestehende nackte Heidi Klum Statue mitten im Durchgang stehen. Mich interessierte, schlaftrunken wie ich war, weder das Gold, noch eine Heidi Klum. Da vor meiner Türe nicht viel Platz ist war mir sofort klar, dass ich die Heidi da wegräumen musste. Ansonsten wäre kein Durchkommen mehr gewesen. Also schob ich sie in mein Wohnzimmer, zog ihr meinen Morgenmantel über und legte mich wieder schlafen. So weit so gut. Nach einer Weile bin ich wieder aufgewacht und war mit hunderten Seilen an mein Bett gefesselt. Und auf mir tanzten kleine Männchen mit den Körpern von Homer Simpson und den Gesichtern von Mubarak. Dazu sangen sie ein Lied:

"Gefällt mir" bist schon selber schuld
Das hast von deiner Ungeduld
Schließ schnell mit deinem Leben ab
"Gefällt mir" bringt dich jetzt ins Grab

... Ich kann mich leider nicht an alle Strophen erinnern, nur noch an den Refrain

Ich bin kein Mensch, denn ich bin Gott
und mich killt auch nicht dein Komplott

Nach schätze mal sieben Strophen hörten alle Homer Mubaraks auf zu singen und trugen mich mitsamt dem Bett in dem ich lag aus meiner Wohnung an die Kante einer Klippe um mich zu entsorgen. Plötzlich tauchte die fleischgewordene Heidi Klum hinter ihnen auf und forderte sie auf, sofort von mir abzulassen. Sie zog einen dicken klumpen Regenwürmer aus einer Tasche meines Morgenmantels und verteilte sie an alle, außer mir. Und sie drohte: "Mubarak, da du jetzt nicht mehr nur einer bist muss sich nun jeder von euch seinen Wurm langsam in die Nase schieben und ihn durch kräftiges Einatmen in die Lunge befördern. Wenn nur einer von euch das nicht packt, müssen alle nach Hause fliegen. Übrigens, deine Homer Verkleidung sieht total bescheuert aus." Als sich Heidi umdrehte, kam sie mit ihrem Fuß an mein Bett und stupste es damit über die Kante. Es folgte ein nicht enden wollender Flug während dessen mein Leben und immer wieder der Anblick von Heidi Klum im weit geöffneten Bademantel an mir vorbeizog. Schließlich kam ein harter Aufprall.

Als ich auf dem Steinboden neben meinem Bett aufwachte, war mir zumindest die Ursache für den Schluss meines Traumes klar. Den Rest finde ich immer noch verwirrend. Warum träumt ein Mensch? Die Wissenschaft steht da noch vor einem Rätsel. Meine Nachbarin meint, Träume würden reinigen. Na ja, sauberer als beim Zubettgehen hab ich mich morgens noch nie gefühlt. Und Traumdeuter verbreiten meiner Meinung nach so viel Wahrheit wie wetter.com mit der 16-tägigen Wettervorhersage. Dass die nicht stimmt, hat mir nicht etwa Kachelmann in einem meiner Träume gesagt. Ich hab das selbst mal ein paar Monate mit der Vorhersage für meine Heimat ausprobiert. Die Vorhersage hat höchstens für drei Tage mit dem tatsächlich folgenden Wetter übereingestimmt. Kann man also getrost die Wettervorhersage für die restlichen dreizehn Tage aus der Kristallkugel oder einer Socke lesen. Oder ganz modern von einem programmierten Zufallsgenerator erstellen lassen. Vielleicht machen die bei wetter.com das ja so. Aber ich will hier jetzt nicht übers Wetter schreiben. Ich rede mit den Engländern, die hier zahlreich ihren Lebensabend verbringen, schon genug darüber. Macht man eben so mit Engländern, wenn man sich gegenseitig beschnuppert. "Nice weather, isn't it?" "Oh yes, it is nice weather." "It is so beautyful." "Oh it is more than beautyful. It is phantastic" "Yes, it is phantastic weather. And the sun is shining" "Oh yes, and yesterday the sun was also shining." "Yes it is phantastic weather when the sun is shining." ... Das kann stundenlang so weiter gehen. Manchmal finde ich so Gespräche langweilig und beende sie mit dem Satz: "I lost Brutus my Pitbull somewhere here and he will be very very angry when he comes along." Das führt in der Regel zu einer schnellen Verabschiedung. Meine Gespräche mit Engländern nehmen nicht immer diesen Verlauf. Zum Beispiel mit Karl, der hier die Bar im Ort macht. Der ist ein Mensch, mit dem man sich richtig unterhalten kann. Bei meinem ersten Besuch war es noch etwas verwirrend. Auf seine Frage "How are you?" hab ich ihm ausführlich meinen Gemütszustand geschildert, um ihn anschließend das selbe zu fragen. An seinem Gesichtsausdruck hab ich sofort erkannt, dass etwas nicht in Ordnung war. Dann fiel mir ein, dass man das im Königreich ja anders macht. Auf die Frage folgt zwangsläufig ein "Fine, and you?". Dann wartet man das "Oh, yes fine." brav ab, und jetzt erst redet man Tacheles. Andere Länder, andere Sitten. Und das auch in Portugal. Engländer sind nun mal sehr traditionsbewusst. Die wissen, was sich gehört. Dass die prüde sind ist allerdings ein Vorurteil. Als das Internet am entstehen war, war ich einer der ersten mit Anschluss an dieses weltweite Netzwerk. Und die ersten Internet-Adressen mit mehr als eindeutig pornografischen Inhalten hatten nahezu alle die Endung co.uk. Woher ich das weiß? Ich bin einfach nur neugierig.

Gestern bin ich, wie angekündigt, auf meinen Wanderpfaden gewandelt und musste feststellen, dass ich einen wichtigen Punkt bei meiner Selbstfindung erreicht hatte. Es ist nämlich so, dass entgegen der allgemeinen Meinung Männer durchaus Multitasking fähig sind und mindestens wandern, Landschaft betrachten und denken gleichzeitig können. Wenn ich stricken könnte, hätte ich nebenbei noch einen Schal gestrickt. Kann ich aber nicht. Ich kann zum Beispiel Ikea-Schränke zusammenbauen. Aber erstens hab ich zur Zeit keinen solchen, zweitens, wenn ich einen hätte, würde ich den nicht einen Berg hoch schleppen wollen. Ich kann auch Motorräder reparieren ... Jedenfalls kam ich darauf, dass ein wesentliches Merkmal von mir ist, dass ich genügend Schlaf brauche. Ich hab während der Wanderung mal so ein bisschen die Vergangenheit an mir vorüber ziehen lassen. Da war die Erinnerung an die Schultüte, die so voll mit Süßigkeiten war, dass mir nach meiner Einschulung zwei Tage lang kotzübel war. Es folgte die Erinnerung an eine Zeit, in der ich versuchte, mit wenig Schlaf auszukommen. Ich war damals der Meinung, dass Schlaf eine total vergeudete Zeit sei, und alle nur aus reiner Gewohnheit so viel schlafen. Ich wollte diese Gewohnheit durchbrechen und reduzierte meinen Schlaf auf zwei Stunden pro Nacht. Genau drei Tage lang war das völlig in Ordnung. Am vierten Tag gingen die Probleme los. Alle Leute, mit denen ich zusammen arbeitete, hatten sich gegen mich verschworen. Mir war völlig klar, dass jeder Fehler, den die anderen machten, und den ich korrigieren musste, eine Falle war. Die wollten mich in irgendwas reinreiten. Mich auflaufen lassen. An meinem Stuhl sägen. Mehr und mehr vermied ich Gespräche mit meinen Kollegen. Die sollten kein Material bekommen, das sie gegen mich verwerten könnten. Das ging im Freundeskreis und in der Familie so weiter. Die Spülmaschine gab nach siebzehn Jahren völlig überraschend ihren Geist auf. Am selben Tag noch folgte die 25 Jahre alte Waschmaschine. Dann kam noch ein plötzlicher Wintereinbruch im Dezember und ich hatte immer noch Sommerreifen auf den Felgen. Da musste jemand an allerhöchster Stelle beschlossen haben, mir das Leben schwer zu machen. Nach sieben Tagen meines Selbstversuchs war mir völlig egal was geschah, auch dass ich mit keinem Menschen mehr reden konnte. Ich konnte mich nämlich inzwischen akzentfrei mit Hunden, Katzen und Singvögeln unterhalten. Ich konnte nun auch voraussagen, was im nächsten Moment geschehen sollte. Trat zwar selten ein, doch das schob ich auf den da oben, der meine Gedanken las und die Abläufe änderte, um mich zu ärgern. Nach einer angeregten Diskussion über Geheimlogen und Außerirdische mit den Geistern in meinem Schlafzimmer schlief ich in der neunten Nacht ein und wachte erst 33 Stunden später wieder auf. Die Geister waren weg. Hunde, Katzen und Singvögel konnten sich mir trotz mehrmaliger Nachfrage nicht verständlich machen. Und alle Menschen in meinem Umfeld waren freundlich zu mir. Ich war ausgeschlafen. Ich weiß jetzt, dass ich sieben bis acht Stunden Schlaf brauche.

Naja, eigentlich sollte ich mein Schlafbedürfnis nach diesem Vorfall bestens kennen. Ist schon merkwürdig, was man im Alltag vergessen kann, so dass man es sich wiederholt bewusst machen muss. Hier hindert mich nichts daran genug zu schlafen. Passt auch zu Portugal. Das Zauberwort hier heißt Calma. Die Portugiesen an der Algarve machen allesamt Tag für Tag einen wunderbar ausgeschlafenen Eindruck. Alles wird mit einer bewundernswerten Ruhe erledigt. Sei es der Postbote, der erst mal von der Promenade aus den Strand ausgiebig beobachtet, bevor er den einzigen Briefkasten im Ort leert. Oder der nette Mann im Supermarkt. Wenn ich da einkaufe, steht er des Öfteren allein oder in Gesellschaft schweigend oder ins Gespräch vertieft davor und raucht. Meine Einkäufe auf dem Kassenband werden nach der Zigarette oder der Beendigung des Gesprächs abkassiert. Das liegt nicht daran, dass ich Ausländer bin. Das macht er mit allen Dorfbewohnern so. Immer schön eins nach dem anderen. Und nie rennen. Calma eben. Als Deutscher, der aus einer Region kommt, die ans Ländle grenzt in dem die oberste Parole ist "schaffe, schaffe, heisle bauä" hab ich gelegentlich Mühe mit dieser Portugiesische Lebensart. Obwohl ich weiß, dass die Gründe dafür haben. Zum einen zwingt sie ein Großteil des Jahres die Hitze in diese Langsamkeit. Zum anderen liegt es an der Geschichte Portugals. Portugal ist relativ arm. Es lohnt sich also nicht rumzurennen. Hier müsste man sich über die Maßen anstrengen, um Wohlstand zu erreichen. Das war nicht immer so. Portugal war mal sehr reich. Als es noch seine Kolonien hatte. Diese hatte es sich zahlreich seit 1415 in Amerika, Afrika, Arabien und Asien zugelegt. Es gehörten auch große Länder wie Brasilien, Mosambik und Angola dazu. Die Portugiesen verlegten aus diesem Grunde ihre Aktivitäten aufs Handeln mit Kolonialwaren und Sklaven und vernachlässigten im eigenen Land, Anbau und Produktion von Erzeugnissen für den eigenen Bedarf. Hier in Lagos, der nächstgelegenen größeren Stadt gibt es noch einen Platz, der schon im fünfzehnten Jahrhundert für den Sklavenmarkt genutzt wurde. Heute parken dort Touristen in einer Tiefgarage ihre Mietwagen. Passt irgendwie. Die bringen auch Geld. Weiter zur Geschichte. Franzosen, Engländer und Holländer entrissen den Portugiesen allmählich Kolonien. Es war auch irgendwann nicht mehr en vogue andere Länder in Form von Kolonien auszubeuten. Subtilere Methoden waren angesagt. Einige Kolonien hielt sich Portugal jedoch bis in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts. So lange, wie keine andere Kolonialmacht. Der Wegfall fast aller dieser Kolonien war dann ein harter Schlag für die Nation. Geblieben sind Portugal noch Madeira und die Azoren. Da ist nicht viel zu holen. Die Azorenhochdruckgebiete die nach Mitteleuropa ziehen bringen zwar in der Regel schönes Wetter. Doch, dafür können die Portugiesen uns nicht zur Kasse bitten. Zudem sind die letzten Kolonien schon lange autonom. Hinzu kam, dass 1755 ein großes Erdbeben Lissabon vollständig zerstörte und in weiten Teilen des Landes riesige Schäden anrichtete. Nicht zu vergessen, dass Portugal bis 1974 von einem Diktator regiert wurde. Das ist nur ein kleiner Umriss der Portugiesischen Geschichte. Dadurch kann ich mir auch das Portugiesische Lebensgefühl erklären, in dem immer auch so eine gewisse Melancholie eine Rolle spielt. Und die äußert sich unüberhörbar in der traditionellen Musik, im Fado.

So, liebe Freunde der aus der Ferne gesendeten leichten Unterhaltung, ich muss mal wieder raus. Die Sonne scheint. Und das will ich nutzen. Ich hab nämlich beschlossen, diese homöopathischen Minimaldosen nachts wegzulassen und auf die Konzentration Dy umzusteigen. Das y ist die Variable für die Anzahl von Stunden, in denen ich mich in die Sonne begebe. Nach dem Lust und Laune Prinzip. Vielleicht sehe ich mir heute den Sonnenuntergang am Ende der Welt an. Das gibt es hier wirklich, morgen mehr darüber. Bis denne.

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Samstag, 05.02.2011, New York, USA

Es ist jetzt 18.30 Uhr in New York. Sitze hier auf einer Parkbank im Centralpark und tippe mit Handschuh bewehrten Händen meinen Tagebucheintrag ... Ein bisschen Spaß muss sein. Uuuuups, erinnert mich an einen alten Schlager. Will jetzt aber nicht über Sänger mit Migrationshintergrund lamentieren. Tatsächlich ists 8.30 Uhr, ich bin immer noch in Salema und, sorry auch wenn ich alle langweile, es scheint die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Habe eben eine SMS erhalten. Text: HGZG LG ...(Namen nenn ich nicht). Soll heißen: Herzliche Glückwünsche zum Geburtstag. Aber Hallo, die Nachricht hat die Bezeichnung Kurznachricht verdient. Da hatte jemand ganz offensichtlich keine Zeit. Erinnert mich an einen Gag in einem Abend füllenden Programm, das ein Freund mal aufgeführt hatte. Es ging um das Beenden von Beziehungen, zum Beispiel per SMS mit der Nachricht "URX". Das bedeutet "You are ex". Gut, ich kann mich über meine SMS freuen. Wobei, in dem ein oder anderen Fall kann das der Empfänger/die Empfängerin von URX vielleicht auch.

Nun die schlechte Nachricht: Habe heute so einiges geplant und bin jetzt schon spät dran. Deshalb fasse ich mich kurz. Voraussichtlich heute Mittag gibts wieder Neues aus dem Exil.
Bis denne

Aus Mittag wurde Abend. Musste ein bisschen mit Freunden feiern. Macht man halt so, am Geburtstag. Aber da ich gestern meine Fahrt an das Ende der Welt angekündigt hatte, will ich heute gerne noch kurz davon berichten. Ich denke trotz Pisastudie, dass kein Mensch jetzt auf die Idee kommt, dass die Erde eine Scheibe ist und das Ende der Welt an der Kante liegt. Das mit der Scheibe kann man zwar versucht sein zu glauben, wenn man von einer Klippe aus diese absolut gerade erscheinende Linie zwischen Himmel und Meer sieht. Doch, wenn ich mich nicht täusche, gibt selbst die Katholische Kirche seit kurzem zu, dass die Erde eine Kugel ist. Oder verwechsle ich das mit einer Nachricht über Kondome? Also, das Ende der Welt ist eine Landzunge bei Sagres, die den südwestlichsten Zipfel von Europa bildet. Witzigerweise gibt es dort eine Würstchenbude, die "die letzte Bratwurst vor Amerika" anbietet. An den Kanten der Landzunge geht es schätzungsweise vierzig Meter steil runter. Damit bietet sie beeindruckende Aussichten. Sie bildet die Grenze zwischen der Südküste Portugals und der Westküste und ist ein beliebtes Ausflugsziel, ganz besonders bei Sonnenuntergang. Denn dann strömen die Fans des Anblicks der roten Kugel beim Abtauchvorgang von der Südküste dort hin. An der Südküste sieht man die Sonne nie im Meer untergehen. Jedenfalls ist mir kein Ort bekannt. Da ist immer irgend ein Stück Land im Weg. Wird sich langfristig vielleicht ändern, denn die Klippen hier sind aus ziemlich brüchigem Material und die Wellen des Atlantik nagen unermüdlich. Kann sogar gefährlich sein. 2009 schrubbte eine Klippe eine massiv gebaute Beachbar bei Lagos weg. Wahrscheinlich deshalb haben die Behörden an jedem Strand unter den Klippen Warnschilder mit Lageplänen aufgestellt, auf denen die Stellen markiert sind, an denen man sicher ist. Ich würde ja gerne noch weiter schreiben, habe aber leider noch was vor. Meine Nacht war traumlos, ist also heute kein Thema.
Bis denne

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Sonntag, 06.02.2011, Salema, Portugal

Erst mal ein herzliches Dankeschön für die viele Glückwünsche zum Geburtstag. Hat mich echt gefreut. Was mich verwundert hat ist, dass die wenigsten per Email kamen. Facebook, SMS, Skype-Anrufe und Anrufe aufs Handy kamen reichlich. Aber Glückwünsche per Email sind wohl schon "Old School". Und jetzt würden die auch nichts mehr nützen. Denn, ich wollte mehr Mails bekommen und glaubte, dafür könne ich problemlos selbst sorgen. Ich habe mir eine zusätzliche Email-Adresse eingerichtet. Von der neuen Adresse habe ich eine Email mit besonders lieben Grüßen an meine alte Adresse gesandt. Zuvor hatte ich bei meiner alten Adresse eine Weiterleitung auf die neue Adresse eingerichtet und eingestellt, eingehende Emails in Kopie im Postfach zu belassen. Bei der neuen Adresse hatte ich ebenfalls eine Weiterleitung eingerichtet, auf die alte Adresse. Ich dachte mir, dass ich mal so fünfzig Emails an die alte Adresse durchgehen lasse, und dann schalte ich eine der Weiterleitungen ab. Das ging voll in die Hose. Die zwei Postfächer sind im Moment noch so intensiv mit Kommunizieren beschäftigt, dass ich keinen Zugriff auf sie habe. Ich kann das nicht mehr abzustellen. Ich weiß auch nicht, wie lange es geht, bis mein Postfach endlich voll ist. Denn ab diesem Zeitpunkt sollte sich das Problem von alleine gelöst haben. Ich hab ausgerechnet, dass dann etwa 25000 automatisch erstellte Mails angekommen sein werden. Vermutlich wird jeder verstehen, dass ich die nicht alle durchscrollen will, um in diesen Ping-Pong-Mails die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Meine Idee für diese Aktion war in etwa so bescheuert, wie es die wäre, eine Selbstfindung von Google erledigen zu lassen. Hätte ich doch bloß beim Feiern meines Geburtstages den Alkohol weggelassen. Diese legale Droge lässt einen all zu leicht Dinge tun, mit denen man später nicht mehr wirklich einverstanden ist. Geschehen ist geschehen. Ist auch möglich, dass ich in dem Moment, in dem ich diese Zeilen veröffentliche, die Mailflut schon der elektronischen Müllabfuhr übergeben kann.

Zum Glück gibts ja noch die anderen Kommunikationsmittel. Wie facebook. Von da aus wurden im Übrigen die ersten Protestkundgebungen gegen das Regime in Ägypten organisiert. Ich stelle mir das etwa so vor: Zwei Studenten, Montag 24. Januar 2011, während ihrer Vorlesungen, im facebook Chat "ey, yussuf, was geht heut abend?" "du djamal nicht viel, fatima feiert geburtstag warmup party, morgen geburtstagsparty, ali macht morgen ne beachparty" "Ey yussuf, immer nur parties, die von ali und fatima sind eh total langweilig" "bessere idee djamal?" "ja yussuf, aufstand" "was aufstand djamal?" "mensch yussuf, richtig aufstand in kairo, tahrir platz, gleich morgen" "und wie djamal?" "is easy yussuf, werd ich in facebook an der pinnwand ankündigen" "oh djamal, wir haben doch keine parolen" "no problem yussuf, werde dazuschreiben, wir brauchen parolen" "ahja djamal, und was ist mit rednern djamal?" "ey yussuf, is auch easy. hab ne rockband als freunde. die haben grade keinen gig. auf ihrem tour-lkw kann man stehen und soundanlage haben die auch. ich poste noch an die wand suchen redner, gage sind fünf tickets für nen auftritt der band. wir ziehen das ganz gechilled durch" "ey klasse djamal, geht klar. nutzt wahrscheinlich nix, wenn ich mit poste. hab eh die gleichen 13.367 Freunde in facebook wie du. dann mal bis morgen" ... So war es natürlich nicht. Wenn man aus einem Land wie Deutschland kommt, kann man sich nur schwer vorstellen, dass es Länder gibt in denen Menschen nicht genug zu essen haben. Und in denen Menschen ein Problem damit haben, dass hier und da ein Freund verschwindet, bloß weil er am falschen Ort das Falsche gesagt hatte. In Italien hat man scheinbar kein Problem damit. Zumindest der Italienische Diktator, oder was haben die noch mal für eine Regierungsform? Ich hab die Tage mit Entsetzen gelesen, dass Don Berlusconi sich mit Adolf Mubarak solidarisch erklärt hat. (Die Vornamen sind rein zufällig gewählt. Konnte mir die richtigen nicht merken.)

Ich war während meines bisherigen Lebens nie in großem Maße politisch interessiert oder gar tätig. Ja, ich oute mich an dieser Stelle als mäßig mündiger Bürger in einem demokratischen Land. Es ärgert mich halt jedes mal, dass nach einem Wechsel der Regierung die Lobbyisten die gleichen sind. Das erzeugt Langeweile ... Schluss jetzt, ich will lieber noch etwas von Portugal erzählen. Dank meiner zuletzt eingestellten Sonnenstrahlungs-Dosierung sehe ich nun einiges von diesem Land. Gestern zum Beispiel. Da war ich an einem Strand, der mich schon mehrfach irritiert hat. In unregelmäßigen Abständen ist er vom Atlantik überflutet. Anfangs dachte ich, dass die Gezeiten relativ ungenau mit Terminen umgingen. Angepasst an die Vorgehensweise der Einheimischen. Ist aber nicht so. Der Atlantik frisst gelegentlich ohne Vorwarnung einen Strand. Und spuckt ihn plötzlich wieder hin. Dafür hat der Atlantik keinen Rhythmus. Das liegt an irgendwelchen unberechenbaren Strömungen im Wasser. Einheimische haben mir erzählt, dass ein Strand in der Nähe von Salema mal ganze drei Jahre lang weg war. Zuletzt ist er eines Nachts wieder aufgetaucht, im wahrsten Sinne des Wortes. Also Freunde des Strandurlaubs, seid mobil, wenn ihr euren Urlaub hier verbringen wollt. Ist ein Strand weg, gibt es immer einen in der Nähe, der eben mal seiner alten Heimat einen kurzen oder längeren Besuch abstattet. Oder macht euren Urlaub im Osten der Algarve. Dort hab ich nichts über ein Strand-weg-Phänomen gehört. Für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschänkt sind, ist der Osten ohnehin besser. Da die Landschaft dort recht flach ist, kann man an jeden Strand mit dem Auto fahren. Geht hier seltener. Hier im Westen liegen die Strände meist in Buchten. Umgeben von mehr oder weniger hohen Klippen, mit Zugängen über Treppen oder schmale Trampelpfade. Ein Vorteil dieser Buchten ist der Windschutz. Kann man gut gebrauchen. Denn, je weiter man nach Westen kommt, um so windiger wird es. Vermutlich deshalb haben ältere Einheimische stark vom Wetter gegerbte Gesichter. Mir gefallen diese Gesichter sehr gut. Das zaubert ein bisschen Verwegenheit in den sonst üblichen leicht melancholischen Gesichtsausdruck. Hier liegt überhaupt pausenlos so eine unbeschreibliche Verwegenheit und ein spürbarer Drang in der Luft, Neues zu entdecken. Als ob die Geister der vielen Seefahrer, die von hier ins Ungewisse gestartet sind, hier ihr Unwesen trieben. Kann durchaus sein, dass ich mir das nur einbilde. Weil es zu meinem Ziel, meiner Selbstfindung ach so schön passen würde.

Ja, ja, die Selbstfindung. Ich mache keine großen, eher täglich viele winzige Fortschritte mit meinen Erkenntnissen über mich selbst. Die ich zum Teil Tags darauf wieder verwerfe, weil die Umstände sich täglich ändern. Ich habe mehr und mehr einen Verdacht. Nämlich, dass die ultimative Selbstfindung eine Erfindung von Psychologen und Esotherikern ist. Als zusätzliche Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen. Und dass Google gar das bessere Werkzeug ist, zudem kostenlos. Gut, ich gebe zu, hätte ich meine Auszeit nicht, hätte ich vielleicht tatsächlich einen Guru gebraucht, der mir zum Beispiel gesagt hätte, ich solle genug schlafen. Wenn man im Stress ist, vergisst man das schon mal. Ich will hier auf keinen Fall die Notwendigkeit der Gilden der professionell Seelenheil verkaufenden und alternative Religionen gegen Honorar anbietenden abstreiten. Das liegt mir so was von fern. Nicht im Traum würde ich daran denken. Ach ja, Träume. (Ich liebe meine Überleitungen ins nächste Thema. Kann nicht jeder so schön, nicht wahr!). Uuups, durch meinem Einschub in Klammern bin ich vom Traumthema schon wieder deutlich weg. Wegen der Überleitungen. Erinnert mich an Überlandleitungen. Da muss ich jetzt einfach abschweifen. Ich hatte irgendwo schon erwähnt, dass man in Portugal die Uhr nicht nur eine Stunde sondern zusätzlich dreißig Jahre zurückstellen muss. Das meine ich nicht nur deshalb, weil die Einwohner von Portugal noch immer zu über neunzig Prozent katholisch sind. Ein Teil von denen glaubt auch standhaft an diesen Himmel-Hölle-Wahnsinn, wurde mir gesagt. Es gibt auch für jeden sichtbare Indizien für diesen Rückstand. Wir haben hier auf der Hauptstraße eine Wanderbaustelle. Die gibt es, weil endlich die zahlreich vorhandenen Überland-Telefonleitungen eingegraben werden. Für den, der telefonieren oder ins Internet will, ist dies, das muss ich den Portugiesen sehr positiv anrechnen, kein Nachteil. Erstens kann man das auch durch Überlandleitungen. Zweitens gibt es hier fast überall Sendemasten in Reichweite. Handygespräche und mobiles Internet sind also problemlos möglich. Nun muss man sich allerdings eine Wanderbaustelle in Portugal deutlich anders vorstellen, als eine Wanderbaustelle in Deutschland. Wegen der Geschwindigkeit, mit der sie wandert. Ich habe in meiner Heimat schon beobachtet, wie zwei Kilometer Kabel in einer Woche vergraben wurden, inklusive neuem Belag. Hier braucht man für diese Distanz etwa einen Monat, ohne Belag. Gaaaanz viel Calma auf der Baustelle. Seit Monaten geht das schon so. Wann ein Belag auf die verbuddelten Kabel kommt, wissen die Götter, sorry, hier sollte ich besser sagen weiß Gott. Wann ich das nächste mal träume weiß auch Gott allein. (Ich gebe zu, diese Überleitung ist ein klitzekleines bisschen holprig.) Habe die zweite traumlose Nacht hinter mir, wo ich doch so gerne von meinen Träumen erzähle. Dann erzähle ich stattdessen vom Wetter: Ist wie gestern ...
Bis denne

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Dienstag äh Mittwoch, 09.02.2011, Salema, Portugal

Sorry für die Tage ohne Zeilen. Musste mal wieder ein bisschen Land und Leute schnuppern gehen. Das Wetter war mehr als passend für sowas. Ich hatte zudem so eine Schreibverhinderung. Kann viele Ursachen haben. Eine könnte gewesen sein, dass ich mir vor drei Tagen auf Spiegel.de nicht nur die Nachrichten über die aktuelle Lage in Ägypten sondern noch zwei Handyvideos angesehen habe. Auf diesen konnte man mitverfolgen, wie jeweils ein Fahrzeug durch eine Menschenmenge gerast ist, um anschließend unbehelligt davonzubrausen. Manche der Demonstranten wurden seitlich weggeschleudert, andere über das Fahrzeug hinweg, wieder andere wurden eine Weile mitgeschleift. Ein Fahrzeug soll vom Geheimdienst gewesen sein, das andere ein Diplomatenfahrzeug. Gleichgültig wer das war, es war grausam. Meine erste Reaktion war Sprachlosigkeit. Was treibt Menschen zu so einer Tat? Die Leute hier haben eben so wenig wie ich eine Erklärung dafür. Wir sind uns nur einig, dass der sich gewaltig irrt, der auf Gewalt setzt. Es gibt immer friedliche Möglichkeiten, Probleme zu lösen. Gut, wenn man fünfzig Milliarden Euro in Sicherheit bringen will und dazu noch einen Abgang haben will, bei dem man sein Gesicht nicht verliert, ist das eben eine Ausnahme. Da sind Lateralschäden nicht zu vermeiden. Möglich, dass diese Handyvideos daran schuld sind, dass ich nicht mehr von Träumen berichten kann. Vermutlich verfolgen mich diese Bilder im Traum, und das Hirn setzt einen Schutzmechanismus ein. All zu Schreckliches, dem man machtlos gegenüber steht, wird in die finstere Kammer des Unbewussten abgeschoben. Und man kann sich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern. Dass die Träume der Nacht, die von ganz anderen Dingen handelten, mitgerissen werden, ist eben auch so ein Lateralschaden. Schade.

Wie schon erwähnt, ich habe mich die letzten zwei Tage ein wenig unter die Leute gewagt. Unter die Leute heißt, unter die die, die sich hier in Portugal vor mehr oder weniger vielen Jahren angesiedelt haben. Mit denen kann ich mich auf Englisch oder Deutsch verständigen. Portugiesisch kann ich noch immer fast gar nicht. Sprachen waren noch nie mein Ding. Wenigstens so einfache Dinge wie bitte, danke, Begrüßungen und Verabschiedungen, ein paar Standardfragen und Bezeichnungen für ein paar Grundnahrungsmittel, zu denen hier natürlich der Wein zählt, hab ich gelernt. Wäre nicht unbedingt notwendig, denn hier an der Algarve sprechen viele Portugiesen Englisch, manche sogar Deutsch. Jedoch freuen sich die Alteingesessenen, wenn ich mir ein kleines bisschen Mühe gebe. Kann ich gut verstehen. Ich reagiere in Deutschland auch freundlicher, wenn mich jemand auf Deutsch fragt "Könnte ich von ihnen bitte Feuer haben?", als wenn jemand "fragt" "Hey Alder, lass mal Feuer zu meine Fluppe wachsen!". Zurück zu den Zugewanderten. Die kommen aus vielen Ländern hier her. Hauptsächlich aus Groß Britannien, Deutschland, Polen, Ukraine, Afrika, hab ich mir sagen lassen. Ich versuche inzwischen zu schätzen, wie lange jemand schon hier lebt, bevor ich es mir sagen lasse. Oft liege ich unwesentlich daneben mit meiner Schätzung. Es gibt recht brauchbare Indizien. Das eine ist die Kleidung. Ganzjährig hier lebende, aus nordischen Gefilden ausgewanderte tragen an sonnigen Wintertagen nur in der ersten Zeit ein T-Shirt wie ich. Nach zwei bis drei Jahren Aufenthalt tragen die zusätzlich etwas dünnes, langärmeliges dazu. Nach fünf Jahren ist das schon ein Pullover. Bei Leuten, die mehr als fünf Jahre hier leben, wird es allerdings schwierig. Da kommt häufig eine Jacke oder ein Mantel dazu, so wie es die Eingeborenen machen. Da muss ich mir dann die Hautfarbe genauer anschauen. Denn ein zweites Indiz für die Aufenthaltsdauer ist der Bräunungsgrad. Nach zehn Jahren Portugal hat man vergessen, dass die viele Sonne hier der Aus-/Einwanderungsgrund war. Man setzt sich ihr nicht mehr so viel aus. Das heißt, die Leute sind so blass, wie sie es in ihrer alten Heimat wären, wären sie da geblieben. Gilt natürlich nicht für Schwarzafrikaner. Die sind auch immer dick eingepackt, gleichgültig wie lange sie schon hier sind und wie viel sie körperlich arbeiten müssen.

Für alle Daheimgebliebenen gibt es heute eine gute Nachricht. Mein Wetterbericht wird sicher keinen Neid erzeugen. Der Himmel ist Wolken verhangen, und es ist ziemlich windig. Neid könnte bestenfalls aufkommen, wenn ich über die Prognose von wetter.com berichte. Es soll wieder sonnig werden. Hatten die eigentlich für heute schon angekündigt, also bitte abwarten, nicht grundlos neidisch werden. Gut, einen Grund könnte es doch geben: Hier wird es laut wetter.com morgen ein unglaubliches Phänomen geben. Die haben für nachmittags "sonnig" angekündigt, untermalt mit diesem wunderschönen Sonne-Piktogramm. Wunderlicherweise ist jedoch ebenfalls eine Regenwahrscheinlichkeit von 40 % angegeben. Ich dachte, dazu bräuchte es Wolken. Ist das hier anders? Wird morgen die Sonne auf Portugal herab weinen? War mein Traum mit Kachelmann kein Traum, und der hat den Regen neu erfunden? Ich werde es erleben und natürlich davon berichten.
Bis denne

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Donnerstag, ganz sicher, 10.02.2011, Salema, Portugal

Ich liebe spiegel.de. Unter dem Titel "Lehrstunden in Sachen Rechtsmedizin" ist heute ein herrlicher Artikel drin. Darüber, dass der Rechtsmediziner der Staatsanwaltschaft die Regeln in diesem Spiel völlig außer Acht gelassen hat, um Kachelmann besser belasten zu können. Und dass zwei vom Verteidiger bestellte Gutachter für das Gericht plausibel erklären konnten, die Verletzungen von Simone H. seien mit sehr großer Wahrscheinlichkeit selbst zugefügt. Und dass Alice Schwarzers Informant durch Falschaussagen glänzt. Hat die alternde Emanze wohl aufs falsche Pferdchen gesetzt, um mit ihm mit einem Buchprojekt noch mal groß raus zu kommen. Hätte sie sich doch denken können, dass sie sich seit ihrer Berichterstattung für die Bildzeitung nur in äußerst fragwürdiger Gesellschaft befinden kann. Ich freu mich schon auf meinen nächsten Traum mit Kachelmann. Wir beide können gemeinsam in Freiheit die Wettergestaltung angehen.

Gute Nachrichten. Auch gut: Meine tollen Träume sind wieder zurückgekehrt. Und abrufbar. Die letzte Nacht hat mir ziemlich realitätsnahe Bilder beschert. Keine grün geteerten Straßen oder blauen Wiesen. Richtig Alltag. Wenn auch ein besonderer. Ich hab nämlich geträumt, ich bin morgens aufgewacht mit dem Gedanken, dass es ein guter Tag für einen Amoklauf ist. Nicht einer der gnadenlos harten Sorte, ausgeführt mit Papas Waffen oder einem Samurai-Schwert. Ein ganz besonderer Amoklauf. Ein Verbaler. Ich wollte alle Tabus außer Kraft setzten und den Leuten endlich alles sagen, was mir in den Sinn kam. Ich stand also auf, verrichtete meine üblichen Morgenaktivitäten und verließ das Haus. Als erstes fuhr ich mit dem städtischen Omnibus. Schon beim Einsteigen wies ich die Leute darauf hin, dass wir ohne Gedränge und Geschiebe, schön einer nach dem anderen schneller im Bus sind. Danach rief ich den Fahrgästen zu: "Hey Leute, müsst ihr euch täglich mit penetrant stinkenden Aftershaves und Eau de Toilettes übergießen und dieses ekelhafte Zeug unter die Arme rollen? Wenn das nicht aufhört, übergieße ich mich ab morgen mit Gülle bevor ich den Bus betrete!". Das hat gesessen. Ich erntete viele böse Blicke. Einige der Fahrgäste begannen jedoch, an sich selbst und an anderen zu riechen. Das spornte mich zu weiteren Taten an. Ich ging vor zum Busfahrer: "Hören sie mal, ich kann nicht verstehen, dass sie Bremsmanöver auf so rüpelhafte Weise erledigen müssen. Ich weiß, dass sie Angst haben, ihren Terminplan nicht einhalten zu können. Aber sie befördern Fahrgäste, und einige davon sind schon etwas älter. Und die Kinderwägen wackeln ziemlich bedenklich." Nach einem grimmigen Murren seinerseits stellte ich noch die Frage "Soll ich mich da besser an ihren Chef wenden?" Die nun frostige Kälte im Bus war mir denn doch zu viel, und ich stieg ein paar Haltestellen früher als geplant aus. Nach einer sanften Bremsung. Mein nächstes Opfer wurde ein Hundehalter. Der wollte doch tatsächlich den frischen Schiss seines Zwergpudels auf dem Gehweg liegen lassen. "Wenn sie das jetzt nicht wegräumen, landet es in ihrem Briefkasten. Zusammen mit einem entzündeten Chinakracher!" Schnell verschwand das Häufchen in einer Plastiktüte. Geht doch. Dann kam mir eine aufreizend bekleidete junge Frau entgegen. "Hast du Lust auf Sex?" Die Reaktion war schnell und schmerzhaft. Bei der nächsten hielt ich die andere Backe hin. Wegen der Symmetrie. Sieht dann nicht so bescheuert aus. Als Anneliese mir entgegen kam und mich wie immer in ein längeres Gespräch verwickeln wollte, bat ich sie, ihren Kopf während des Redens leicht zur Seite zu drehen. "Du Anneliese, ich halt deinen ständigen Mundgeruch nicht mehr aus." Anneliese war überrascht und etwas schockiert, erholte sich jedoch schnell. "Weißt du Anneliese, du kannst das selbst nicht ohne weiteres riechen. Es gibt jedoch einen Trick. Mal kräftig an der Hand schlecken. Einen Moment warten. Dann dran riechen." Tat sie, verzog angeekelt das Gesicht und meinte, sie würde als nächstes eine Drogerie aufsuchen. Kaum war sie weg, da stand auch schon Klaus vor mir. "Du Klaus. Komm mir nicht wieder mit deinen Ausführungen, wie unfähig dein Vorgesetzter Egon sei. Ich kenne den und weiß, dass das nicht stimmt. Ich weiß auch, dass du auf seinen Job scharf bist. Wusstest du, dass er eine Frau und drei Kinder hat und alles auf Raten kauft, wie du? Soll ich ihm mal ein paar kompromittierende Dinge über dich erzählen?" Nach einem zaghaften Nein verabschiedete sich Klaus schleunigst. Ab hier wird der Traum etwas nebulös. Ich kann mich noch dunkel an eine Rede erinnern, die ich im Landtag über Steuerverschwendung hielt, während ich den eigentlichen Redner ständig mit einer Hand wegschieben musste. Und an eine Szene, in der ich einem Ordnungshüter seine Rechte vorlas. In der letzten Szene, an die ich mich erinnern kann, saß ich staunend in einer Gruppentherapiesitzung in einer psychiatrischen Einrichtung. Einer der Patienten redete über sein posttraumatisches Belastungssyndrom nach übermäßigem Konsum von Reality-Shows auf Privat-TV-Kanälen. Dann wachte ich auf.

Den Traum werde ich nicht so schnell wieder vergessen. Hat, abgesehen vom Schluss, bisschen was von einem Wunschtraum. Jetzt aber erst mal aus der Traum. Wie schon befürchtet, hatte wetter.com einen Optimisten mit der Wettervorhersage beauftragt. Die strahlende Sonne versteckt sich hinter einem geschlossenen Wolkenteppich. In der heutigen aktualisierten Vorhersage ist das schon richtig angepasst. Das Sonne-Regen-Phänomen ist ebenfalls für heute abgeblasen, wird aber nun für morgen früh angekündigt. Bei denen gehts ja zu wie bei der Deutschen Bahn. Ob ich da eine Entschädigung für verpasstes Wetter einfordern kann? Meine Variable y wird heute jedenfalls Platzhalter für einen ziemlich geringen Wert sein.
Bis denne

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Freitag, 11.02.2011, Salema, Portugal

Revolution mit Live-Übertragung. Da wird per TV gesendet, getwittert, facegebookt, livegetickert. Hatte mich letzte Nacht für TV entschieden. Wie vermutlich sehr viele, habe auch ich die Rede von Adolf Mubarak mit Spannung erwartet. Die Dramaturgie war nicht schlecht, erst mal die Spannung steigern mit Leute warten lassen, danach Spannung rausnehmen mit dem üblichen Gefasel. Was hat er gesagt? "Jungs und Mädels, ich werfe euch ein paar kleine Brocken hin. Das muss reichen. Ach ja, meine Geheimdienst-Marionette bekommt eine neue Choreografie für den Tanz im Präsidenten-Palast. Wir machen alle Fehler, macht nix, wir können ja beten. Und tschüssi." Ich hatte ein bisschen mehr erwartet. Selber schuld. Ein über 80-jähriger ist eben kein junger dynamischer Entertainer.

Vom Wetter wurde ich ebenfalls enttäuscht. Deshalb habe ich eine Mail an wetter.com geschrieben:

Sehr geehrte Damen und Herren von wetter.com.

Zur Zeit befinde ich mich an der Algarve und darf mich über eine Umgebung freuen, die sehr viel Neues bietet. Heute Morgen erwartete ich jedoch auch ein Wetter-Phänomen, das ich zuvor noch nie erlebt hatte. Nämlich Sonnenschein von wolkenfreiem Himmel mit gleichzeitigem Regen. Leider wurde ich enttäuscht. Tatsächlich kann ich mir das auch nicht vorstellen. Meine Damen und Herren, Sie hatten das angekündigt. Sie hatten zuerst für gestern Abend, in der gestrigen Vorhersage dann für heute Morgen die Ankündigung von "sonnig" inkl. wolkenfreiem Sonne-Piktogramm, jedoch mit einer Regenwahrscheinlichkeit von 40 %. Dass ich das nun nicht erleben konnte, möchte ich niemandem zum Vorwurf machen. Gerade hier ist das Winterwetter sehr launisch und wechselt manchmal rasend schnell. Das macht es sicher nicht einfacher, es vorherzusagen. Allzu gerne würde ich allerdings von ihnen erfahren, wie man sich Regen von einem wolkenfreiem Himmel vorzustellen hat?

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Hirn

Da ich keinen ergiebigen Traum hatte, von dem ich berichten könnte, möchte ich wieder mal von der Algarve erzählen. Ich hatte an anderen Stellen schon berichtet, dass es hier einige Zuwanderer gibt. Ein großer Teil sind Rentner, für die eine aufwändige Infrastruktur geschaffen wurde und wird. Auch hier im Dorf. Am Rande von Salema wird schon seit längerer Zeit eine Siedlung erstellt, die annähernd so groß wie das alte Salema ist, und in die sich Rentner aus Großbritannien eingekauft haben. Schöne Häuser im mediterranen Stil, mit reichlich Pools dazwischen. So etwas muss man sich natürlich leisten können, speziell hier im Westen sind Immobilien nicht wirklich billig. Ein anderer Teil der Zuwanderer ist deutlich jünger und ohne nennenswertes Kapital. Diese Menschen müssen aus diesem Grunde ihren Lebensunterhalt mit diversen Tätigkeiten noch verdienen. Das machen die hauptsächlich in der Gastronomie, die durch den Tourismus floriert. Andere arbeiten auf Baustellen. Ich hab mir sagen lassen, dass man für einen Job auf der Baustelle am besten schwarz sein sollte. Hier hat der Begriff Schwarzarbeit also noch eine andere Bedeutung. Reich wird man mit Arbeiten hier nicht. Zumal es in der Gastronomie eine Winterpause von mindestens zwei Monaten gibt. Die Jobs sind auch deutlich schlechter bezahlt als zum Beispiel in meiner Heimat. Allerdings kann man, wenn man nicht direkt am Meer wohnen will, im Hinterland günstigen Wohnraum finden. Tief im Hinterland kann man diesen sogar günstig kaufen. Eine gute Portion handwerkliches Geschick oder reichlich Erspartes muss man dafür jedoch mitbringen, denn die billig angebotenen Behausungen sind in der Regel ziemlich heruntergekommen.

Somit ist klar, dass junge Leute nicht hier her kommen, um finanziell wohlhabend zu werden. Kann sein, dass man hier dennoch mehr verdient, und die Wahrscheinlichkeit einen Job zu bekommen größer ist als zum Beispiel in Afrika, Polen oder der Ukraine. Für die Deutschen ist einer der Gründe, hier zu leben, das Klima. Im Winter ist es hier zehn bis zwanzig Grad wärmer als in Deuschland. Im Sommer ist fast täglich Badewetter. Das ganze in dieser herrlichen Landschaft am Atlantik mit ihrer exotische Vegetation. Ist sicher ein weiterer starker Grund. Die Atlantikwellen locken auch viele Surfer an. Da gibts für weniger sportliche Menschen wie mich immer was zu sehen. Seit Januar blühen zahlreiche Mandelbäume und Pflanzen, von denen ich bisher nur wenige kenne, wie zum Beispiel Rosmarin, der ebenfalls seit Wochen blüht. Manches Mal verbreiten größere Ansammlungen von Palmen Karibisches Flair. Hier gibt es reichlich Wanderpfade über Klippen direkt am Meer, von denen man aus unzählige Buchten mit Stränden erreichen kann. Im Hinterland kann man durch Korkeichen- und Eukalyptuswälder in hügeligem Gelände wandern oder fahren. Ein ebenfalls wichtiger Grund, weshalb sich viele Deutsche angesiedelt haben, ist die Portugiesische Lebensart. Calma ist wie schon erwähnt allgegenwärtig. Alles läuft hier langsamer als in der hektischen Heimat. Die Leute nehmen sich Zeit, zum Plaudern oder einfach sitzen, stehen, schauen. Übersetzungen für die Worte Hektik und Hast habe ich eben in zwei Online-Wörterbüchern vergeblich gesucht. "Leider keine exakte Übersetzung gefunden." Kriminalität scheint hier auch nicht sehr verbreitet zu sein. Seit ich hier bin, habe ich nur ein mal ein Polizeifahrzeug in Salema gesehen. Die einzige Schlägerei, die sich in dieser recht friedlichen Umgebung in den letzten Monaten ereignet hat, hatten zwei Deutsche Touristen miteinander. Ich hab die Theorie, dass man bei Völkern viel über ihr Wesen von ihrer Sprache ablesen kann. Portugiesisch hört sich absolut entspannt und friedfertig an. Viele Konsonanten werden als "sch" gesprochen. Bisschen wie nuscheln. "sch", das man zum Beispiel bei Kleinkindern langgezogen spricht, um sie zu beruhigen. Macht man hier im Übrigen auch nicht anders. Das macht man in anderen Ländern ebenso, wie mir Engländer, Holländer ... bestätigt haben ...

Ich möchte an dieser Stelle meine Schilderung abbrechen, Vielleicht kann sich nun der ein oder andere vorstellen, warum ich die Algarve für eine Auszeit gewählt habe. Ich werde jetzt wieder meinen Lieblingspfad für körperliche Fitness nutzen. Die Angst, von einer Klippe gestoßen zu werden, plagt mich überhaupt nicht mehr. Die Geheimdienstler in Ägypten sind wohl noch einige Monate damit beschäftigt, ihre Schäfchen und die von Mubarak in Sicherheit zu bringen.
Bis denne

noch einmal Freitag, 11.02.2011, Salema, Portugal

CNN meldet eben den Rücktritt von Mubarak. Hat der letzte Ägyptische Pharao nun doch überraschend eingesehen, dass er nicht mehr zum Entertainer taugt. Sieht so aus, als ob Mubarak nur noch kurze Zeit in den Medien erscheinen wird. Mit Fragen wie: Wo fliegt er hin? Wo darf er landen? Wo darf er bleiben? Dann wirds irgendwann ruhig um seine Person werden. Und die Touristen werden wieder wie gewohnt nach Ägypten fliegen. Gut so. Die werden helfen, die Kassen wieder aufzufüllen, die Mubarak, seine Familie und seine Gefolgsleute geplündert haben.

Die Mitarbeiter von wetter.com waren erstaunlich schnell mit ihrer Antwort. Leider war das angekündigte Wetter-Phänomen nur ein Fehler im System. Diesen wollen sie nun schnellstmöglich beheben. Ich werde das beobachten.

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Samstag, 12.02.2011, Salema, Portugal

Heute konnte ich mein Tagebuch leider nicht vormittags weiterführen. Bauernmarkt in Lagos, und ich hatte verschlafen. Raus aus dem Bett und zack ins Auto. Der ist für mich ein Muss. Da bekomme ich unter anderem die besten Eier, direkt von den Bauern, die da selbst verkaufen. Von glücklichen Hühnern, die sich frei auf den Höfen bewegen, dennoch nie geplättet auf den Straßen liegen. Meine Eierproduzenten scheinen die Gefahren von heranrollendem Gummi zu kennen. Und die Einheimischen fahren recht umsichtig. Mir wurde zwar angetragen, Portugiesen hätten einen fürchterlichen Fahrstil. Das haben mir Deutsche erzählt. Ich selbst konnte bislang feststellen, dass eine rote Ampel hier nicht zwangsläufig ein Stoppsignal ist. Jedoch auch, dass man sich genau umschaut, bevor man Regeln nicht einhält. Kann ich gut mit leben, denn ich habe das Autofahren hauptsächlich in Italien gelernt. Da ist das nicht anders. Und ich habe das nie als unsicherer als in Deutschland empfunden. In so einem Verkehr muss man einfach jederzeit konzentriert fahren und beachten, was die anderen tun. Wenn dann doch mal jemand zum Beispiel an einer Vorfahrt-Achten-Stelle "pennt" und weiterfährt, bestehen die anderen nicht auf ihrem Recht, sondern lassen den ganz entspannt durch. Da könnten manche Autofahrer in Deutschland was von lernen. Jedenfalls erreichte ich unfallfrei und rechtzeitig den Bauernmarkt in Lagos. Da ich nicht alle Tage in Lagos bin, habe ich die Gelegenheit genutzt und mir die kleine Galerie beim Sklavenmarkt angesehen. Nach der Bezahlung von einem Euro fünfzig weiß ich nun, dass 1444 die ersten Sklaven hier ankamen. Endlich eine Jahreszahl, die ich mir merken kann. Ich weiß nun auch, dass tote Sklaven von ihren Besitzern mit dem Hausmüll entsorgt wurden. Hat man anhand von Grabungen festgestellt. Ich finde das ja befremdlich, in über fünfhundert Jahre altem Hausmüll rumzubuddeln. Hab mir allerdings sagen lassen, dass man aus Müll und Exkrementen sehr viel über die Lebensweise damals ablesen kann. Arme Archäologen der Zukunft, dank Mülltrennung, Müllverbrennung und Kläranlagen werden unsere Spuren verwischt. Mülltrennung gibt es hier auch, den Standort von Kläranlagen konnte mir bisher niemand nennen. Der Atlantik ist sehr groß ...

Gestern Abend durfte ich zum ersten mal das erleben, wovor ich schon lange gewarnt wurde. Einen Stromausfall. Allerdings nur enttäuschende drei Sekunden lang. Immerhin, er wurde durch ein Gewitter und Platzregen ausgelöst, so richtig durch Naturgewalten. In Deutschland muss da schon jemand mit der Baggerschaufel ein Kabel durchhacken. Hier im Hinterland, ein paar Dörfer weiter erleben die Einwohner bei jedem kräftigen Regen Stromausfälle, die dann teils mehrere Stunden andauern. Da stehen selbst in reinen Männerhaushalten reichlich Kerzen rum. Ich hatte Glück, der Regen war nur kurz. Ich hatte jedoch hier schon längere Regenfälle erlebt. Danach tropft es durch den Boden des Balkons über meinem auf meinen Balkon herunter. Da wurde wohl etwas zu viel Sand in den Beton gemischt. Mir wurde gesagt, dass das hier normal ist. Mängel am Bau sind hier Standard. Manche, die ich hier kennengelernt habe, haben das gleiche Problem mit dem Dach über ihrem Wohnraum. Die müssen sich mit Eimern behelfen. Und wenn man auf die Idee kommt, solch einen Schaden beheben lassen zu wollen, kann durchaus das Wort amanhã in der Antwort auftauchen. Amanhã bedeutet morgen. Aber Achtung: Morgen ist hier wie in vielen südlichen Ländern relativ zu sehen. Denn es ist eng mit dem schon beschriebenen Wort Calma verflochten. Bis zu einer Lösung kann es also eine Weile dauern. Außer in der Antwort stehen beide Worte. Dann sollte man mit einer Katze verwandt sein und sieben Leben haben um eine Lösung zu erleben. Oder man bietet viel Geld.

Um Geld geht es auch im für heute letzten Teil meine Tagebuchs. Ich hatte da so einen Traum. Darin haben Kachelmann und Mubarak geheiratet. Mubarak fand Kachelmanns Verhalten gegenüber Frauen moralisch nicht vertretbar und fand, dass Wiederholungstaten nur mit einer in Treue gelebten, gleichgeschlechtlichen Ehe zu verhindern wären. Um seine Argumente zu untermauern, bot er Kachelmann fünfundzwanzig Milliarden Euro für die Zustimmung zu einer Ehe mit ihm. Als einzige Bedingung musste Kachelmann seine neue Aufgabe, das Wetter zu machen, an das Ägyptische Volk übertragen. Kachelmann stimmte sofort zu, denn die gottgewollte Klausel, tatsächlich Frauen physisch vergewaltigen zu müssen, lag ihm schwer im Magen. Mubarak versicherte ihm auch, dass Allah das mit Gott schon klären würde, notfalls mit Gewalt. Während der Hochzeit saß Mubaraks Frau Suzanne gefesselt und geknebelt und in ein Tuch gehüllt, und merkwürdigerweise mit einem Kochlöffel in der Hand, auf dem Schoß von Suleiman. Die Hochzeit fand in einer Oase in irgendeiner mir unbekannten Wüste statt. Westerwelle vermählte die beiden und beglückwünschte sie zu ihrem mutigen Schritt, und dass die Welt Vorbilder bräuchte, so dass Friede und Freude wieder kompromisslos in Konstellation zum Eierkuchen stünden. Zusätzlich mit dem Hinweis, dass sie ein echtes Traumwetter für diesen Tag gewählt hätten. Tatsächlich gab es kein Wetter. Das hatte einen Grund. In einem Nomadenzelt unweit der Oase debattierten Ägyptische Volksvertreter schon seit Tagen über das Wetter, ohne zu einer Einigung zu gelangen. Angefangen hatten sie die Debatte mit der Frage, was denn gutes Wetter wäre. Inzwischen waren sie an einem Punkt angelangt, an dem sie nur noch über die Bedeutung von "gut" diskutierten. Leider wachte ich in dem Moment auf, als ein weiß gekleideter Schwarzer aufsprang und schrie "Ich hab die Lösung!"
Bis denne

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Sonntag, 13.02.2011, Salema, Portugal

Ein verregneter Sonntag. Der verlief ziemlich ereignislos. Die Nacht traumlos. Ich versuche nun nicht, dieses Nichts in Worte zu fassen. Das würde keiner lesen wollen. Nicht mal jemand, der nichts lesenswert findet.
Bis denne

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Montag, 14.02.2011, Salema, Portugal

Ganz ehrlich, völlig ereignislos war mein gestriger Tag nicht. Ich gönnte mir eine kurze, dennoch wunderschöne Wanderung auf den Klippen. Schön, bis zu dem Moment, als es zu regnen begann. Die letzte viertel Stunde konnte ich deshalb dem Test meiner neu erworbenen Goretex-Jacke widmen. Das Test-Ergebnis war enttäuschend. Eine viertel Stunde reichte aus, um mäßig starkem Regen Einlass unter das Gewebe zu verschaffen. Ich hatte das befürchtet. Mit Motorradhandschuhen hatte ich schon mal so ein Problem. Schlimmer noch. Die besagten Handschuhe wurden als leichte Sommerhandschuhe angepriesen. Leicht waren sie, so lange sie trocken waren. Leider für den Sommer nicht tauglich. Das eingearbeitete Goretex hat lästiger weise den Schweiß, der sich bei sommerlicher Hitze an meinen Händen bildet, nicht nach außen abgeleitet. Der hat sich komplett im Handschuh gestaut. Und bei Regen füllten sich die Handschuhe geradezu mit Flüssigkeit. Derart gesättigt waren die Handschuhe dann alles andere als leicht. Ein echter Goretex-Fan kann jetzt behaupten, dass das Goretex-Material falsch herum eingenäht war. Ist schon möglich. Dann war es das beim nächsten Paar, das ich mir besorgte, wohl auch. Mit denen erging es mir nicht anders. Manche Leute haben einfach Pech. Und dieses Pech verfolgt mich nun mit der neuen Jacke. So könnte man es sehen. Ich hab eine andere Theorie dazu. Ein Jacke aus Goretex ist ein modisches Accessoires, dass man ab einem bestimmten Einkommen und ab einer bestimmten Intensität einer liberalen politischen Einstellung einfach hat. Solch eine Jacke ist in diesen Kreisen ein Muss, das eine gehörige Portion Fähigkeit zu Glauben erfordert. Für diesen Glauben gibt es eine kleine Bibel. Das ist ein kleines Heftchen, das man zum Produkt dazu bekommt. In diesem wird auf kleinen Ikonen, sorry Illustrationen, der Nutzen der textilen Schichten in schillernden Farben grafisch dargestellt. Die Illustrationen enthalten wichtig klingende Fachausdrücke wie membrane, shell, inner liner ... also eine niveau- und phantasievolle Glaubens-Fachsprache. Wichtig sind die zehn Gebote (geschätzt, denn die genaue Zahl kann ich grad nicht nachprüfen, hab meine Goretex-Bibel nicht dabei). In diesen ist der Umgang mit dem Material genau beschrieben. Ich vermute, da liegt der Hund begraben. Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige, der von Goretex enttäuscht ist. Der jedoch gleichzeitig nicht sicher ist, ob es sich um einen Anwenderfehler handelt, weil man nach dem Kauf der Jacke die Bibel nur überflogen hatte. Also, kann man noch immer glauben, die Jacke sei gut. Einigermaßen teuer war sie ja. Und bis man aufhört, das zu glauben, hat die Industrie was Neues erfunden. So geht das Spiel mit einer neuen Uniform weiter, hergestellt aus neu erfundenen textilen Wunderwaffen gegen Transpirations-Stau und Regen-Durchbruch. Oder, um von nicht funktionierenden Funktionen abzulenken, ausgestattet mit neuen funktionierenden oder nicht funktionierenden Funktionen und zusätzlichen hübsch illustrierten Geboten in der kleinen Bibel. Funktionierend oder nicht, gut für Wirtschaftswachstum ists allemal.

Ich will den Herstellern von Goretex-Textilien nicht Unrecht tun. Vielleicht bin ich wirklich ein Pechvogel oder der DAU (Dümmster Anzunehmender User) von Funktionskleidung. Wundern tät mich das nicht. Nicht hier. Ich leiste mir hier von Zeit zu Zeit schlicht nichts zu tun. Das führt zu einer gewissen Verblödung. Ist mir neulich aufgefallen. Da stellte ich nach einem Blick auf die Uhr fest, dass ich zuvor geschlagene zwei Stunden auf meinem Balkon gesessen hatte. Nur damit beschäftigt, den Himmel anzusehen. Ach ja, und mit gerade mal drei Gedanken. Die waren in keiner Weise intelligent. Der erste war "schöner blauer Himmel", der zweite "huch, eine Wolke", der dritte "schöner blauer Himmel". Ja, ich leiste mir das von Zeit zu Zeit. Trotz der Gefahr, die restliche Zeit meines Aufenthaltes hier mit einer undichten Jacke wandern zu müssen. Warum nur von Zeit zu Zeit? Ich habe nicht mehr Zeit um nichts zu tun. Ich hab hier einen Haushalt zu besorgen. Einen aufwändigen sogar. Denn, hat man einen Single-Haushalt, kann man die Arbeit damit mit niemandem teilen. Manches mal frage ich mich inzwischen, wie ich das im normalen Leben hinbekommen habe. Kochen, Putzen, Waschen, Körperpflege und Freizeit-Gestaltung fordern mich ganz und gar. Ok, die Freizeit gestalte ich aufwändig. Da sind die schon beschriebenen Dinge, die man an der Algarve eben so tut. Dazu kommen noch Lesen, Schreiben, entfernte Kontakte pflegen. Zeit für nichts tun bleibt da kaum. Die Zeit, in der ich mich von meinem digitalen Satelliten-TV-Empfänger berieseln lasse ist genau genommen ebenfalls nicht nichts tun. Das erfordert wenigstens Hinsehen, Zuhören und, da ich selten Privatsender wähle, mehr oder weniger Nachdenken. Die wirklich langen Zeiträume, in denen ich nichts tue, bekomme ich leider nicht mit. Die verschlafe ich.

Schlaf ... Traum. Jetzt drängt sich geradezu eine Überleitung auf. Daraus wird nix. Ich habe schon wieder eine traumlose Nacht verbracht. Kann mich zumindest an keinen Traum erinnern. Ereignisse? Nichts nennenswertes. Außer vielleicht, dass meine Nachbarin seit heute Heldenstatus bei mir genießt. Die ist gestern ausgerutscht und auf den Arm gefallen. Heute ist sie mit ihrem Ford K in eine zwanzig Kilometer entfernte Klinik gefahren. Wie man dort festgestellt hat, mit einem zweifach gebrochenen rechten Arm. Respekt. Hätte ich nicht gekonnt. Muss was dran sein an der Behauptung, dass Frauen ein anderes Verhältnis zu Schmerz haben als wir Männer. Eigentlich logisch. Für uns hat die Natur nicht die schmerztechnischen Voraussetzungen geschaffen, die notwendig sind, um ein Neugeborenes am Stück durch eine kleine sensible Öffnung zu pressen.

Nun noch das Wetter: wechselhaft mit gelegentlichem Regen. Und es soll die nächsten Tage so bleiben.
Bis denne

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Dienstag, 15.02.2011, Salema, Portugal

Habe mich heute fast nur mit Haushalt, Lesen und einem kurzen Spaziergang beschäftigt. Auf diesem habe ich mir das Neubaudorf für die Britischen Rentner genauer angesehen. Die Zahl der Häuser beläuft sich auf etwa hundert. Einige sehen aus wie Einfamilienhäuser, andere beinhalten mehrere Appartements. Zirka die Hälfte der Häuser ist mit Fenstern ausgestattet und verputzt. Die andere Hälfte befindet sich im Rohbau. Seit ich meine Auszeit in Salema verbringe, sind an Wochentagen höchstens fünf Handwerker gleichzeitig auf der Baustelle. Um die Fertigstellung mit diesen fünf Arbeitern erledigen zu können braucht es meiner Meinung nach sehr viele Jahre. Laut meinem Vermieter liegt die Ursache in Währungsschwankungen. Die Kaufkraft des Britischen Pfundes im Euroland entwickelte sich im Lauf der Zeit deutlich ungünstiger, als die Bauträger dies bei den Vertragsabschlüssen mit den Käufern angenommen hatten. Die Kaufpreise wurden wohl in Pfund vereinbart. Das führte dazu, dass die finanziellen Mittel geringer ausfielen und nicht ausreichten, um im geplanten Rahmen bauen zu können. Ein Geschäftsführer der Bauträger-Gesellschaft sah den Ruin der Gesellschaft und seinen eigenen unabwendbar. Um zukünftig nicht in Armut leben zu müssen, setzte er alle verfügbaren Mittel in Bares um und versuchte sich abzusetzen. Das ging schief. Bei seiner Festnahme soll er einige Millionen Euro im Gepäck gehabt haben. Inzwischen wurden die Käufer der Immobilien angehalten, Geld nachzuschießen. Sehr willig scheinen die nicht zu sein, wenn es gerade mal für fünf Dauerbeschäftigte reicht. Ich hoffe, dass die Käufer der Häuser und Appartements das Studienalter noch nicht überschritten haben. Denn nur dann haben diese die Chance, ihren Lebensabend in einem fertig gestellten Domizil verbringen zu können. Vermieten geht bis zum Eigenbedarf halt nicht. Und im günstigsten Fall ist das Dach sogar dicht. Das sollte nicht als ein rein Portugiesisches Problem gesehen werden. Solche oder ähnliche Fälle sind in vielen südlichen Ländern dokumentiert. Scheinbar günstige Domizile sind zuletzt teuer oder unbrauchbar. Da hilft nur genauestens prüfen und überwachen.

Von einem Traum gibts wieder nicht zu berichten. Macht nix, sehe ich zumindest so, erspart mir Schreiberei. Und ich kann um so schneller in mein Buch abtauchen. Ist grade verdammt spannend. Das Wetter nicht, das war heute wie prognostiziert.
Bis denne

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Mittwoch, 16.02.2011, Salema, Portugal

Ich hatte endlich wieder einen Traum. Erstaunlicherweise, trotz der Pause, einen Fortsetzungstraum. Er begann in der mir noch immer unbekannten Wüste in der Oase. Mubarak und Kachelmann tanzten seit Tagen ununterbrochen einen Hochzeitswalzer, der in einer Endlosschleife aus riesigen Lautsprechern tönte. Um die Tanzfläche herum lagen schnarchend verschiedene europäische und amerikanische Politiker. Obama hob ab und zu die Hand, wodurch ein ziemlich lächerliches Geräusch aus seiner Lunge entwich, ließ sie dann schnell wieder sinken, um wie zuvor in gleichmäßiges Schnarchen über zu gehen. Die Debatte im Nomadenzelt der Ägyptischen Volksvertreter ging nun darum, ob es denn überhaupt einen Sinn mache zu debattieren. Ein älterer Herr mit langem Bart schlug vor, die mitgebrachten Krummsäbel diesen Punkt entscheiden zu lassen. Da das Ägyptische Volk diese Unentschlossenheit nicht länger hinnehmen wollte, gestaltete nun jeder für sich das Wetter in seiner kleinen Welt. Das führte zum Beispiel dazu, dass man sich in Kairo an Schneemännern erfreuen konnte, während man über am Boden liegende, hitzegeplagte röchelnde alte Menschen kletterte. Diese gerade mal Quadratmeter großen Kleinstwetter förderten in nie da gewesenem Maße den Absatz an Goretex-Kleidung auf Ratenzahlungs-Basis, denn der Tourismus blieb aus und somit Devisen. Einzig ein paar Touristen, die normal vorzugsweise Schottland bereisten, verbrachten ihren Urlaub in Ägypten. Derweil vergnügte sich Suleiman in einer seiner alten Werkstätten, einem Folterkeller, mit Suzanne Mubarak mit Sado-Maso-Spielchen. Was sie nicht wusste: Seine sadistischen Spielchen dienten nicht allein seiner sexuellen Stimulation. Er versuchte durch ein gewaltiges Übermaß an Quälerei an Informationen über ihre Geheimkonten zu gelangen. Das gestaltete sich schwieriger als er dachte. Denn er musste ständig wegen nicht eingeplanter multipler Orgasmen, die er erlitt, das Prozedere unterbrechen. Was er nicht wusste: Ihr machte es große Freude, ihm zuzusehen, wie er von Höhepunkt zu Höhepunkt schwächer wurde. Zuletzt sah er so gebrechlich aus, dass ich mir Sorgen um ihn machte. In diesem Moment wachte ich schweißgebadet auf.

Ich mache mir inzwischen keine Gedanken mehr, was meine Träume bedeuten könnten. Nach diesem Erwachen habe ich erst mal geduscht, das Bettzeug gelüftet und in diversen Medien Nachrichten geschmökert. Das fing gleich gut an. Die Frankfurter Börse fusioniert mit der Wallstreet, und die Mitarbeiter haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Haha, lustig. Diejenigen, die Arbeitsplatz-Vernichtern eine Plattform bieten, rationalisieren nun selbst Arbeitsplätze weg. Über die Namensgebung der Superbörse ist man sich noch nicht einig. Da hätte ich einen Vorschlag: Transatlantische Handelsplattform mit der Lizenz zur Abzockung kleiner Anleger. Oder kurz: Casino Global. Ich wollte mich nicht all zu lange mit Nachrichten aufhalten. Wenn lesen, dann lieber mein Buch. Ich bin danach ein bisschen draußen gewesen, das war denn auch das spannendste. Jedoch nicht so spannend, dass es sich lohnen würde, darüber zu berichten. Mitunter deshalb gibts wieder mal nur einen relativ kurzen Eintrag heute. Ach ja, Wetter ist wechselhaft mit Regen und, gähn, die nächsten Tage nicht anders angekündigt. Ich werde es erst dann wieder erwähnen, wenn es sich ändert.
Bis denne

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Sonntag, 20.02.2011, Salema, Portugal

Heute gibts endlich neues über das Wetter zu berichten. Ich kann mir die Dosis Dy wieder von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verabreichen. Fühlt sich deutlich angenehmer an, als das Aprilwetter der letzten Tage. Die habe ich mit viel lesen verbracht. Unter anderem diesem Umstand und dem, dass ich mich nicht an meine Träume erinnern konnte, ist es zu verdanken, dass es keine Einträge in mein Tagebuch gab. Vielleicht sollte ich mein Tagebuch nun in Manchetagebuch umbenennen. Abgesehen vom Wetter gibts heute auch nicht viel zu berichten. Folgendes ist vielleicht erwähnenswert. Ich verbringe grade viel Zeit alleine in meinem Appartement, da geschieht etwas seltsames mit mir. Meine Sichtweisen ändern sich, und mir fallen Dinge auf, die ich zuvor nicht beachtet hatte.

1. Der ständige Kloakengeruch aus dem, wie ich nun festgestellt habe, siphonlosen Abfluss im Bidet in meinem Badezimmer wurde gleich am ersten Tag meines Alleinseins zum Störfaktor. Ich habe deshalb den Hauptabfluss mit dem Stöpsel verschlossen und den Überlauf-Abfluss mit Klebeband verklebt. Die Aktion hat sich gelohnt. Ich muss nun nicht mehr diesen penetranten Duft nach Eau de Kloake ertragen und kann fortan geruchsmäßig mit mir im Reinen leben ohne mich durch Selbstfindung ablenken zu müssen.

2. Die gefühlte Menge an Haushalts-Arbeiten hat sich verringert. Da ich ständig vor Ort bin, geht das mal schnell nebenbei. Und es macht mir Spaß. Es bringt zudem Abwechslung in meinen Alltag und verhilft mir zu ungeahnten Erfolgserlebnissen. Original handgespültes Geschirr im Abtropfgitter ist das absolute Highlight jeden Tages. Wird nur noch getoppt durch frisch bezogenes Bettzeug oder eine auf Hochglanz polierte Klobrille.

3. Meine anfänglich noch längeren Selbstgespräche werden immer kürzer und enden nur noch selten im Streit.

4. Die Momente, in denen ich das angenehme Gefühl habe, nichts zu verpassen, stellen sich immer häufiger von selbst ein. Sicher nicht zuletzt deshalb, weil ich zunehmend vergesse, was es denn zu verpassen gibt.

5. Auf einen Einkauf im kleinen Supermarkt im Nachbardorf muss ich mich von Tag zu Tag intensiver mental vorbereiten, um diese gigantische Reizüberflutung schadlos zu überstehen.

6. Nachrichten aus aller Welt nehme ich inzwischen wahr, als wären es Meldungen über Ereignisse auf einem fernen Planeten. Diese Wahrnehmung ist nicht gänzlich neu. Neu ist, dass ich nicht mehr sicher bin, auf welchem Planeten ich mich befinde.

Ich werde die nächsten Tage das herrliche Wetter nutzen und mich wieder mehr außer Haus bewegen. Schließlich will ich mein Wohlbefinden nicht länger von glänzenden Klobrillen auf fremden Planeten abhängig machen.
Bis denne

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